Kommentar; #121/2022, S. 2

19.04.2022

2022 begann mit einem folgenschweren Rückschritt. Als nichts anderes ist die Einbeziehung von Erdgas und Atomenergie in die EU-Taxonomie zu bezeichnen. Zum ersten Mal werden mit einem EU-Regelwerk verbindliche Richtlinien geschaffen, mit deren Hilfe Wirtschaftsaktivitäten ökologisch nachhaltig bewertet werden können – oder eben nicht. Beinhalten sollte dieses Regelwerk sechs Umweltziele: so eine Verringerung der globalen Erderhitzung sowie die nachhaltige Nutzung und den Schutz der Wasser- und Meeresressourcen. Angepeilt werden sollen eine Kreislaufwirtschaft sowie die Vermeidung, zumindest Verringerung der Umweltverschmutzung sowie als weitere entscheidende Kriterien der Schutz und die Wiederherstellung der biologischen Artenvielfalt und der Ökosysteme. 

Noch im März 2020 empfahl die von der EU-Kommission einberufene technische Expertengruppe für nachhaltige Finanzen den Ausschluss der Atomkraft aus der Taxonomie. Nun allerdings ist die Atomenergie wieder im Rennen. Zuvorderst durch die Lobbyarbeit der Atomindustrie und ihrer pronuklearen Partner. Dabei steht der französische Staat mit Emmanuel Macron an der Spitze. Unfassbar: In seinem Energieprogramm ist der Bau von 14 kleineren Atomkraftwerken festgeschrieben. Dafür braucht er aber eine finanzielle Bedeckung. Diese soll nach Vorstellung der französischen Regierung aus „grünen“ EU-Töpfen gespeist werden. 

Diese geplanten „Small Modular Reactors“ (SMR) sind Kernkraftwerke mit bis zu 300 MW Leistung. Die kleinen Atomkraftwerke sollen durch ihre modulare Bauweise angeblich Sicherheits- und Kostenvorteile bieten. Es ist hier jedoch so wie bei allen bisherigen „Träumen“ der Atomindustrie, die Massenproduktion von SMR ist noch nirgends „passiert“. Bisher gibt es nur einen SMR in Funktion, das ist jener von Lomonossov in Russland. 

Investitionen in neue Kraftwerke sind ohne Subventionen mehr oder minder undenkbar. Länder, die kleine modulare Reaktoren betreiben wollen, planen auch Atomwaffenprogramme und wollen Atom-U-Boote bauen. Sowohl Zeitpläne als auch Budgets wurden bereits bei allen Atomkraftwerken in den vergangenen Jahren deutlich überschritten. In diesem Zusammenhang sprechen kritische Wissenschafter vom größten Greenwashing aller Zeiten. Atommüll und die ausrangierten Anlagen stellen eine schwere Hypothek für alle künftigen Generationen dar. Vier Generationen haben von der Atomenergie bisher profitiert, aber strahlenden Atommüll für die nächsten 40.000 Generationen hinterlassen. Investitionen in die Atomenergie haben daher keinesfalls ein Nachhaltigkeitslabel verdient. 

„ATOMKRAFTWERKE SIND NIEMALS ABSOLUT SICHER UND WERDEN NIEMALS SICHER SEIN. “ 

Interessant: Während Deutschland aus der Kernenergie aussteigt, steigt die EU-Kommission wieder ein. Klimawandel, Rückgang der Biodiversität und Verschmutzung der Gewässer und der Luft sind unsere Visitenkarten. Wir muten der Erde wesentlich mehr zu als sie vertragen kann. Atomkraftwerke sind niemals absolut sicher und werden niemals sicher sein. Das zeigt eine lange Liste von Unfällen und Störfällen überall auf der Welt. Dazu laufen sie nicht nur Gefahr, das Ziel von Terror und Krieg – siehe Ukraine – zu werden, auch durch Erdbeben und andere Naturkatastrophen verursachte Reaktorunfälle bedrohen die Menschheit. Hoher Ressourcenverbrauch sowie die Gefahr einer irreversiblen Schädigung von Mensch und Umwelt sind grundlegende Problemfaktoren bei der Nutzung von Atomkraft. Die deutsche Bundesregierung unter Olaf Scholz muss endlich Farbe bekennen, sonst fließen Milliarden Euro in hochriskante und klimaschädliche Atom- und Gasprojekte. Atomkraft ist nicht CO2-neutral. Betrachtet man die gesamte Produktionskette, vom schmutzigen und gefährlichen Uranabbau bis zur ungelösten Frage der Atommülllagerung, dann fällt wesentlich mehr CO2 an als bei Wind-, Solar- oder Biomasseanlagen. Die Entscheidung der EU, Investitionen in Atomkraft und fossiles Gas ein grünes Label zu verpassen, ist eine untragbare Weichenstellung für den echten Klimaschutz. 

Es ist eine geradezu skandalöse Absicht der EU-Kommission, Atomstrom und fossiles Gas als „grüne“ Energieformen zu propagieren. Zwar behauptet die EU, sich dem Klimaschutz verschreiben zu wollen und verspricht via Taxonomie viel Geld in grüne Projekte zu investieren, doch der von der EUKommission präsentierte Entwurf der sogenannten Taxonomie verspricht Böses. Mit finanziellen Mitteln, die für eine echte Energiewende disponiert waren, soll es zu einem beispiellosen „Greenwashing“ kommen. Das ist nichts anderes als ein handfester Skandal. Etwa 560 Mrd. Euro könnten so in Atomkraft und fossiles Gas statt in erneuerbare Energieträger wie Wind, Sonne und Biomasse dirigiert werden. Mit diesen finanziellen Mitteln können 700 GW an Solarenergie produziert werden. Und: Mit diesem Mehr an Solarenergie könnte die EU auf dem 1,5-Grad-Klimapfad vorankommen. 

Man kann es wenden wie man will: Jeder Euro für Atomkraft und Fossilgas ist für die echte grüne Energie verloren. Die österreichische Bundesregierung muss mit allen Mitteln versuchen, diesen dreisten Anschlag durch die Taxonomie zu verhindern, damit die EU die von ihr angepeilte Klimaneutralität ansteuern kann, denn fossiles Erdgas besteht zum Großteil aus klimaschädlichem Methan und die ungelöste Frage des Atommülls birgt eminente Gefahren. Weder Atomstrom noch fossiles Gas sind geeignete Energieträger, um die Klimakrise zu bekämpfen. Es geht nun darum, dass die finanziellen Mittel aus den grünen Fördertöpfen nicht zweckentfremdet werden. 

Resümee: Aus einer Studie von Helga Kromp-Kolb, Peter Weish und Reinhold Christian für das Forum Wissenschaft und Umwelt aus 2021 geht unmissverständlich hervor, dass wenig für eine wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit von Small Modular Reactors (SMR) spricht. Auch die versprochenen geringen Emissionen sprechen nicht dafür. Will man dem Klimawandel begegnen, geht das schneller, sicherer und umweltverträglicher mit Energieeffizienz und erneuerbaren Energien – und das vor allem auch billiger. 

Doch dabei bleibt es nicht: Auch in moralischer Sicht ist es untragbar, durch Import von russischem Erdgas und Erdöl Kriegshandlungen mitzufinanzieren. Bisherige Gasimporte durch solche aus anderen Ländern zu ersetzen, wie von der Bundeswirtschaftskammer vorgeschlagen, ändert nichts an der Problematik,

weiß Ihr