Interview #125/S. 6

31.07.2023

WAS SIND DIE HERAUSFORDERUNGEN IM NETZBETRIEB?

Unser Stromnetz ist über alle Ebenen auf eine Erzeugerkapazität von rund 12.000 MW ausgelegt. Bis 2030 sollen 11.000 MW Photovoltaik, bis zu 5.000 MW Wind und 1.000 MW Wasser dazukommen – also quasi eine Verdoppelung der Erzeugung. Um das alles anschließen zu können, müssen wir entweder die Netzinfrastruktur verdoppeln bis verdreifachen oder den Verbrauch entsprechend genau steuern. Aus meiner Sicht wird beides kommen bzw. kommen müssen. Dafür haben wir offiziell keine zehn Jahre Zeit. Dies ist eine riesige technische sowie finanzielle Herausforderung, genauso wie der Mangel an Fachkräften für jeden Netzbetreiber.

IST DIES AUCH IN IHREM BETRIEB SCHON SPÜRBAR?

Selbstverständlich. Wir haben rund 250 Kunden, die eine maximale Abnahmeleistung von 450 kW benötigen. Mit jetzigem Stand sind bereits 600 kWp PV-Leistung an unser Netz angeschlossen. An einem Samstag wie heute brauchen wir aber nur 150 kW. Das bedeutet, wir müssen den Strom irgendwohin abtransportieren oder abregeln.

WARUM TUN SICH DIE NETZBETREIBER MIT DER ENERGIEWENDE SO SCHWER?

Es ist der zu rasche Wandel, der nicht so leicht bewerkstelligt werden kann. Es reicht nicht, zu sagen, wir schalten Atomstrom, Kohle und Gas einfach ab und alles andere muss angeschlossen und ausgebaut werden. Den Trend in Richtung Elektrifizierung kann niemand mehr leugnen. Es wird mehr Wärmepumpen und E-Autos geben. Jedoch gibt es auch physikalische Gesetze, die sich mit EU-Verordnungen nicht aushebeln lassen.

WAS LÄUFT SCHIEF? AUS IHRER SICHT

Ich sage einmal, im deutschsprachigen Raum sind ideologiegetriebene Entscheidungen zu bemerken, die oft nicht zu Ende gedacht worden sind. Ich gebe immer gerne das Beispiel mit dem Boot voller Bananen, das sinkt, jedoch können die Kunden auf andere Produkte einfach ausweichen. Wenn aber Strom im Netz fehlt, funktioniert das ganze System einfach nicht. Deshalb brauchen wir Überlegungen für alle Eventualitäten, also was zu tun ist, wenn zu viel, aber auch, wenn zu wenig Strom vorhanden ist, denn der Kunde braucht immer das Produkt. Auch wenn das einige nicht gerne hören: Es weht nicht immer der Wind, und es scheint nicht immer die Sonne. Zu sagen, wir schalten das und jenes sofort ab, kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Hinzu kommen die Kostensteigerungen. Nicht nur, dass man bis zu einem Jahr auf einen Trafo warten muss, sondern er kostet auch das Dreifache, wie vieles andere mehr. Diese Kostensteigerungen wird jemand bezahlen müssen.

NATURSCHUTZ IST KEIN THEMA?

Naturschutz und Behörden sind ein Mega-Thema. Betrachten Sie zum Beispiel die EU-Notverordnung, die ein übergeordnetes öffentliches Interesse im Erneuerbaren-Ausbau vorgibt. Doch was hilft es mir, wenn sich die Behörden einfach nicht daran halten und ich nur mit einer Liste an Anforderungen eine Bewilligung bekomme. Weiteres Beispiel: Wenn ich vier Bäume bei einem Kleinwasserkraftwerk entfernen möchte, gibt es gleich Diskussionen, wohingegen nebenan im Wald munter geschlägert wird. Wenn jeder Regenwurm wichtig ist, dann soll das bitte so sein, aber dann werden wir auch nicht so schnell die Energiewende schaffen.

WIE GEHT ES WEITER?

Vor zwei bis drei Jahren hatten wir zeitweise Strompreise bei 2 Cent/ kWh. Jetzt sind wir noch immer bei rund 20 Cent/kWh. Viele werden deshalb weiter in PV investieren. Ob sich der Ausbau aufgrund sinkender Preise einbremst, muss abgewartet werden. Auf politischer Seite, glaube ich, wird der Zeitpunkt kommen, wo man den Menschen reinen Wein einschenken wird müssen. Das bedeutet: Die Energiewende wird Geld kosten. Sie wird sichtbar sein, und man wird sein Verhalten an das neue Energiesystem anpassen müssen. Damit meine ich das Lastmanagement. Man wird den Kunden zumuten bzw. sie dazu motivieren müssen, dass gewisse Lasten verschoben/weggeschaltet oder extrem teuer werden. Dann wird man nicht zwischen 16 und 20 Uhr die Wärmepumpe laufen lassen oder in die E-Sauna gehen können. Die E-Wirtschaft ist hingegen aus meiner Sicht motiviert und bereit zu investieren, sieht die Verantwortung gegenüber der Bevölkerung und blickt trotz der vielen Herausforderungen durchwegs optimistisch in die Zukunft.

Mag. Hannes Taubinger, Geschäftsführer der Kittel Mühle, Bergland/NÖ; Betreiber von Ökostromanlagen und Stromnetzen sowie beteiligt an diversen Ökostromprojekten; Landessprecher NÖ der Kleinwasserkraft Österreich