Eine Union, die fest zusammenhält

15.09.2022

(Europäische_Kommission_ Auszug aus der Rede zum Energiethema) –

Meine Damen und Herren Abgeordnete,

eine Lehre aus diesem Krieg ist, dass wir auf diejenigen hätten hören sollen, die Putin besser kennen. Auf Anna Politkowskaja und all die anderen russischen Journalisten, die die Verbrechen angeprangert und dies mit dem Leben bezahlt haben. Auf unsere Freunde in der Ukraine, in Moldau, in Georgien und auf die Opposition in Belarus. Wir hätten auf die Warnrufe innerhalb der Union hören sollen – in Polen, in den baltischen Staaten und in ganz Mittel- und Osteuropa. Sie warnen uns seit Jahren, dass Putin nicht aufhören wird. Und sie haben entsprechend gehandelt. Unsere Freunde im Baltikum haben hart daran gearbeitet, ihre Abhängigkeit von Russland zu beenden. Sie haben in erneuerbare Energien, in LNG-Terminals und in Verbindungsleitungen investiert. Dies kostet eine Menge. Doch die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen aus Russland kommt uns viel teurer zu stehen. Wir müssen uns in ganz Europa von dieser Abhängigkeit befreien. Aus diesem Grund haben wir uns auf eine gemeinsame Speicherung geeinigt. Wir stehen jetzt bei 84 %. Wir übertreffen damit unser Ziel. Doch leider wird dies nicht ausreichen.

140 Mrd. aus „Zufallsgewinnen“ um Not abzumildern

Statt auf Russland setzen wir nun auf verlässliche Lieferanten – die USA, Norwegen, Algerien und andere. Im vergangenen Jahr machten russische Gaslieferungen noch 40 % unserer Gasimporte aus. Heute ist dieser Wert auf 9 % Pipeline-Gas zurückgegangen. Aber Russland manipuliert unseren Energiemarkt weiterhin. Es fackelt Gas lieber ab anstatt es zu liefern. Dieser Markt funktioniert nicht mehr. Zusätzlich dazu verursacht die Klimakrise hohe Kosten. Hitzewellen haben die Stromnachfrage in die Höhe getrieben. Extreme Trockenheit führte zur Abschaltung von Wasser- und Kernkraftwerken. Dadurch sind die Gaspreise im Vergleich zu vor der Pandemie um mehr als das Zehnfache gestiegen. Millionen von Unternehmen und Haushalten haben Angst, nicht mehr über die Runden zu kommen. Doch die Europäerinnen und Europäer stellen sich dem auch tapfer entgegen. So haben die Beschäftigten in mittelitalienischen Keramikfabriken ihre Schichten in die frühen Morgenstunden verlegt, da der Strom dann preisgünstiger ist. Für die Eltern unter ihnen bedeutet dies, dass sie wegen eines Krieges, den sie nicht gewollt haben, ihr Heim früh verlassen müssen, wenn die Kinder noch schlafen. Dies ist nur ein Beispiel für Millionen von Europäerinnen und Europäer, die sich an diese neue Realität anpassen. Ich möchte, dass sich unsere Union daran ein Beispiel nimmt. Wenn wir die Nachfrage in Spitzenzeiten verringern, wird die Versorgung länger halten und dies die Preise senken.Deshalb schlagen wir Maßnahmen vor, mit denen die Mitgliedstaaten ihren Stromverbrauch insgesamt senken können. Darüber hinaus ist weitere, zielgenaue Unterstützung nötig. Für Industriezweige wie die Glasindustrie, wo Öfen abgeschaltet werden müssen. Für Alleinerziehende, die an immer höheren Rechnungen verzweifeln. Millionen von Menschen in Europa brauchen Unterstützung. Die EU-Mitgliedstaaten haben bereits Milliarden von Euro mobilisiert, um bedürftigen Haushalten unter die Arme zu greifen. Aber wir wissen, dass das nicht reichen wird. Deshalb schlagen wir eine Obergrenze für die Einnahmen von Unternehmen vor, die Strom zu niedrigen Kosten erzeugen. Diese Unternehmen machen Gewinne, mit denen sie selbst in ihren kühnsten Träumen nie gerechnet hätten. In unserer sozialen Marktwirtschaft sind Gewinne gut. In Zeiten wie diesen ist es jedoch schwierig, aufgrund des Krieges und auf dem Rücken der Verbraucher Übergewinne zu erzielen. In Zeiten wie diesen müssen Gewinne geteilt und an die Bedürftigsten umgeleitet werden. Unser Vorschlag wird mehr als 140 Mrd. EUR für die Mitgliedstaaten bringen, um die Not unmittelbar abzufedern. Und weil wir uns in einer Krise fossiler Brennstoffe befinden, kommt der fossilen Brennstoffindustrie ebenfalls eine besondere Pflicht zu. Auch große Öl-, Gas- und Kohleunternehmen erzielen enorme Gewinne. Sie müssen also ihren gerechten Beitrag leisten – sie müssen eine Krisenabgabe leisten.

Repräsentativer Richtwert

All diese Maßnahmen sind Notmaßnahmen und vorübergehend, auch unsere Diskussionen über Preisobergrenzen. Wir müssen auch weiterhin darauf hinarbeiten, die Gaspreise zu senken. Wir müssen unsere Versorgungssicherheit gewährleisten und zugleich unsere globale Wettbewerbsfähigkeit. Deshalb werden wir mit den Mitgliedstaaten eine Reihe von Maßnahmen entwickeln, die den Besonderheiten unserer Beziehung zu Lieferanten Rechnung tragen – von unzuverlässigen Lieferanten wie Russland bis hin zu verlässlichen Freunden wie Norwegen. Ich habe mit Premierminister Støre die Einsetzung einer Task Force vereinbart. Die Teams haben bereits ihre Arbeit aufgenommen. Ein weiteres wichtiges Thema auf der Agenda ist, dass unser Gasmarkt sich grundlegend gewandelt hat: weg von Pipeline-Gas hin zu wachsenden Mengen von LNG. Doch der auf dem Gasmarkt verwendete Richtwert – der TTF – wurde nicht angepasst. Aus diesem Grund wird die Kommission an der Festlegung eines repräsentativeren Richtwerts arbeiten.

Garantien bei Liquiditätsproblemen

Gleichzeitig wissen wir, dass Energieunternehmen gravierende Liquiditätsprobleme auf den Stromterminmärkten haben, was wiederum das Funktionieren unseres Energiesystems gefährdet. Im Verbund mit den Marktregulierungsbehörden werden wir diese Probleme lösen, indem wir die Regeln für Sicherheiten ändern und die Preisvolatilität innerhalb eines Tages begrenzen. Und wir werden im Oktober den befristeten Rahmen für staatliche Beihilfen ändern, um staatliche Garantien zu ermöglichen und gleichzeitig gleiche Wettbewerbsbedingungen zu wahren. All dies sind erste Schritte. Doch während wir diese unmittelbare Krise zu bewältigen versuchen, müssen wir unseren Blick auch nach vorn richten.

Strom- vom Gaspreis entkoppeln

Die derzeitige Ausgestaltung des Elektrizitätsmarkts – die auf dem Merit-Order-Prinzip beruht – wird den Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher nicht länger gerecht. Diese sollten die Vorteile der kostengünstigen erneuerbaren Energien nutzen können. Wir müssen deshalb den Strom- vom dominanten Gaspreis entkoppeln. Aus diesem Grund werden wir den Elektrizitätsmarkt einer tiefen und umfassenden Reform unterziehen. Kommen wir nun zu einem wichtigen Punkt. Vor einem halben Jahrhundert, in den 1970er Jahren, standen wir schon einmal vor einer Krise im Bereich fossiler Brennstoffe – der sogenannten Ölkrise. Einige von uns erinnern sich an die autofreien Sonntage, die Energie einsparen sollten. Dennoch sind wir weiterhin auf dieser Einbahnstraße gefahren. Wir haben uns nicht aus unserer Abhängigkeit vom Erdöl gelöst. Im Gegenteil: Fossile Brennstoffe wurden sogar noch massiv subventioniert. Das war falsch – und zwar nicht nur für das Klima, sondern auch für unsere öffentlichen Finanzen und für unsere Unabhängigkeit. Und den Preis dafür zahlen wir noch heute. Nur wenige Visionäre haben damals verstanden, dass das eigentliche Problem die fossilen Brennstoffe selbst sind – und nicht nur ihr Preis. Dazu gehörten unsere dänischen Freunde. Als die Ölkrise akut wurde, begann Dänemark, massiv in Windkraft zu investieren. Sie schufen die Basis für ihre weltweite Führungsrolle in diesem Sektor und schafften Zehntausende neuer Arbeitsplätze. Das ist der richtige Weg!

Die ganze Rede finden Sie HIER