Kommentar; Ausgabe 114/2019, S. 1

15.12.2019

Im Grunde wäre alles ganz einfach: Wenn die ÖVP sich auf das besinnen würde, was sie bereits in den 1970er-Jahren in ihren „Plänen zur Lebensqualität“ angerissen und eineinhalb Jahrzehnte später als „Ökosoziale Marktwirtschaft“ festgeschrieben hat, könnte die Mehrheitspartei sogar als die tonangebende Kraft in den Koalitionsverhandlungen mit den Grünen auftreten. Motto: Klimaschutz wurde von der bürgerlichen Seite schon konzipiert, als es die Grünen noch gar nicht gegeben hat.

Allerdings: Klimaschutz wurde von der bürgerlichen Seite auch immer wieder hintangestellt – und würde es womöglich weiterhin, wenn die Grünen nicht darauf drängen würden. Jetzt aber kommen ein paar Dinge zusammen, die eine ökosoziale Chance eröffnen. Da ist zum einen das pure Kalkül, mit den Grünen eine Koalition schließen zu können, die eine breite Zustimmung in der Medienlandschaft und in der Folge wohl auch in der Bevölkerung genießen kann. Da ist zum anderen die Einsicht, dass der Klimawandel in Österreich schon deutlich spürbar ist, die Muren-Katastrophen in Osttirol und Kärnten kamen quasi als Menetekel zum Beginn der Koalitionsgespräche. Weite Teile des bürgerlichen Lagers haben denn auch erkannt, dass Klimaschutz gut für das Land wäre. Aber man muss auch ins Detail gehen und erkennen, dass es eben nicht gar so einfach ist: Man darf nicht übersehen, dass 2020 Wirtschaftskammer-Wahlen anstehen – da wird es entscheidend sein, wie der ÖVP-Wirtschaftsbund die ökosoziale Wende seinen Funktionären und potentiellen Wählern nahebringen kann.
Dann könnte das Experiment gelingen.

Conrad Seidl