Interview mit Gottfried Kirchengast; Ausgabe 114/2019, S. 15

15.12.2019

KLIMASCHUTZ IST IN ALLER MUNDE UND WAR EIN TOP-THEMA BEI DER NATIONALRATSWAHL. WIE IST DER STATUS QUO BEIM KLIMASCHUTZ IN ÖSTERREICH?

Österreich ist beim Klimaschutz, also konkret beim bisherigen Abbau der Treibhausgas-Emissionen, innerhalb der EU-28-L.nder auf dem blamablen fünftletzten Platz. Also wenn man die Emissionen der 2010er-Jahre mit den 1990er-Jahren vergleicht. Während die meisten Länder deutlich reduzieren konnten, teils schon über 25 %, hat Österreich bisher gegenüber den 1990ern sogar noch leicht zugelegt. Der Grund ist, dass es bisher einfach keine wirklich ernsthafte Klimapolitik gibt.

WELCHE BEDEUTUNG HABEN ERNEUERBARE ENERGIEN BEIM KLIMASCHUTZ?

 Um das Pariser 1,5-Grad-Klimaziel erreichen zu können, ist ein angemessener und rascher Ausbau erneuerbarer Energien unerlässlich. Gleichzeitig erfordert der tiefgreifende Abbau fossiler Emissionen in Richtung vollständiger Bedarfsdeckung mittels erneuerbarer Energiequellen wie Sonne, Wind, Wasser und Biomasse einen Fokus auf hocheffiziente Energiedienstleistungen, zur grundlegenden Senkung des Primärenergiebedarfs.
Und wir brauchen den Ausbau intelligenter Netze und Speicher für Strom, Wärme/Kälte und Information.

KLIMASCHUTZ WILL JEDERMANN, ABER NICHT „VOR DER EIGENEN HAUSTÜRE“. WIE KÖNNTE DIE POLITIK DIE BEVÖLKERUNG ZU MEHR KLIMAFREUNDLICHEM HANDELN BEWEGEN?

Am meisten durch wirksame politische Rahmensetzungen, die auch gut erklärt werden. Also durch eine zukunftsfähige sozial-, wirtschafts- und umweltgerechte Energie- und Klimapolitik, die die Menschen verstehen, weil sie Milliardenkosten im Budget spart, Hunderttausende neue attraktive Arbeitsplätze schafft, eine gerechtere Gesellschaft ermöglicht und unseren Kindern weiter eine lebenswerte Umwelt und Wohlstand. Es geht dabei um nichts weniger als unsere Befreiung aus dem „Fossilen Gefangensein“, das all das zu zerstören droht. Und das gehört politisch auch so erzählt, denn damit wird das Nötige zunehmend selbstverständlich und willkommen, das derzeit noch viele skeptisch macht: Ökosozial kluge CO2-Bepreisung für Kostenwahrheit, Tempo 100 und ab 2030 keine neuen fossilen Fahrzeuge, höchste Energieeffizienz und Ausbau Erneuerbarer, durchgreifend Kreislaufwirtschaft und klimazielfördernde Digitalisierung, und so weiter. Alles sinnvoll, hoch innovativ und mit hervorragenden Zukunftschancen.

SIE SIND DER EINZIGE WISSENSCHAFTLICHE VERTRETER IM NATIONALEN KLIMASCHUTZKOMITEE, DAS DURCH DAS KLIMASCHUTZGESETZ EINGERICHTET WURDE. DARIN WURDEN EMISSIONSGRENZEN BIS 2020 GESETZT. WIE SOLL ES MIT DEM KLIMASCHUTZGESETZ WEITERGEHEN?

Es muss besser werden! Als neuer gesetzlicher Gesamtrahmen für die angesprochene zukunftsfähige Klimapolitik ist ein Klimaschutzgesetz notwendig, das den Pariser Klimazielweg für Österreich bis 2030 schon ganz klar vorgibt, mit einer Reduktion von fossilen Emissionen um 50-60 %. Und das gleichzeitig bereits den längerfristigen Weg zur Befreiung von rund 95 % der fossilen Emissionen bis 2050 klar vorzeichnet. Alle weiteren gesetzlichen Rahmensetzungen und Maßnahmen können sich dann daran orientieren.

BIS JAHRESENDE MUSS ÖSTERREICH AUCH EINEN „VERBESSERTEN“ NEKP IN BRÜSSEL ABGEBEN. WIESO REICHEN DIE BISHERIGEN MASSNAHMEN NICHT AUS?

Weil der bisherige Entwurf des Nationalen Energie- und Klimaplans (NEKP) zu kurz greift mit seinen verstreuten Einzelmaßnahmen. Sowohl die Wirksamkeitsabschätzungen des Umweltbundesamts als auch die konstruktiv-kritischen Rückmeldungen der EU-Kommission haben den massiven Verbesserungsbedarf gezeigt. Und wir haben das seitens der Wissenschaft mit dem im September veröffentlichten Referenz-NEKP, den man einfach via https://cccc.ac.at/refnekp herunterladen kann, auch sehr klar gezeigt.

WAS ERWARTEN SIE SICH VON DER NEUEN REGIERUNG IN SACHEN KLIMASCHUTZ?

Genau jene zukunftsfähige sozial-,wirtschafts- und umweltgerechte Klimapolitik, von der ich oben gesprochen habe! Diese Regierung muss beginnen, den Pariser Klimazielweg auch in Österreich endlich ernsthaft zu beschreiten.