Mineraldünger: Hungert die Pflanze, hungert der Mensch

Biogas - krisensicherer Garant Weiter Umfassende Landesverteidigung

Exklusiv - die Reportage; #121/2022, S. 18-19

19.04.2022

Gastautor: Josef Siffert

Welche Folgen für Russland und die Ukraine, aber auch für Europa und den Rest der Welt dieser Krieg hat, ist noch nicht abzusehen. Doch schon jetzt zeigt sich, dass die EU vom russischen Erdgas unabhängig werden muss. Die Düngemittelerzeugung benötigt enorme Mengen an Erdgas. Berechnungen zeigen, dass dieses durch grünes Gas ersetzt werden kann, um unsere Düngemittelproduktion zu sichern. Darüber hinaus müssen auch alle Möglichkeiten der Pflanzenzüchtung genutzt werden, um den Düngereinsatz bei Kulturpflanzen zu reduzieren und gleichzeitig die Erträge zu steigern. 

Es fühlte sich in den letzten Wochen des alten und ersten des neuen Jahres an wie vor einem Vulkanausbruch. Ein immer lauter werdendes unangenehmes, drohendes Grollen kündigte Unheil an. Die Gaspreise galoppierten davon, die Düngemittelpreise hinterher. Gewaltige russische Militärmanöver an der ukrainischen Grenze lösten bald eine hektische Reisediplomatie in Richtung Moskau aus. Allein, alle Bemühungen halfen nichts, Russland griff die Ukraine an, nun herrscht dort Krieg. 

Die Folgen sind nicht nur für die dortige Bevölkerung verheerend. Denn aus der Ukraine stammen 16 % vom international gehandelten Mais, 10 % des Weizens und 51 % der weltweit 13,6 Mio. gehandelten Tonnen Sonnenblumenöl. So ernährt die Agrargroßmacht rund 400 Mio. Menschen, hauptsächlich im nordafrikanischen Raum und im Nahen Osten. Nun steht dieser Export. Damit nicht genug: Erdgas und Ammoniak, wesentliche Ausgangsmaterialien für Mineraldünger, erreichen Mitteleuropa entweder extrem verteuert oder gar nicht; mit einer folgenschweren Auswirkung: Die Düngemittelpreise explodierten förmlich. Noch im August 2021 kostete die Tonne Stickstoffdünger rund 230 Euro, heute fast das Vierfache, Tendenz steigend. 

Warum? Die moderne Erzeugung von Mineraldünger hat einen hohen Energiebedarf, der im Wesentlichen durch Erdgas gedeckt wird. Jede Gaspreissteigerung schlägt sich daher direkt im Düngerpreis nieder, denn die Kosten für das eingesetzte Gas machen rund 70 % der Gesamtkosten aus. Darüber hinaus fuhr bereits zu Jahresende ein knappes Dutzend europäischer Mineraldüngererzeuger ihre Werke ganz oder teilweise zurück, was die Situation weiter verschärfte. 

Der ausbrechende Krieg unterbrach die Lieferung von Ammoniak aus Russland in den Westen. Ammoniak ist ein wichtiger Rohstoff für die Stickstoffproduktion. Bis zu Beginn der Kämpfe wurde russisches Ammoniak über eine Pipeline durch die Ukraine bis zum Schwarzen Meer in der Nähe von Odessa geleitet. Von dort wurde es mit Schiffen in die mittel- und westeuropäischen Abnehmerländer transportiert. Derzeit ist die Pipeline stillgelegt. Auch die Häfen im Schwarzen Meer sind geschlossen. 

Die Lage wird noch zusätzlich durch russische Exportverbote für Düngemittel verschlimmert. Diese betreffen den Stickstoffdünger Ammoniumnitrat, durch Sanktionen gegen Weißrussland, die de facto die Kali-Exporte des Landes verhindern, und durch ein von China erlassenes Exportverbot, das Phosphat betrifft. Während Weißrussland der weltweit zweitgrößte Kali-Exporteur ist, exportiert China weltweit das meiste Phosphat. 

LOKALE DÜNGERPRODUKTION 

Zur Illustration der Größenordnung: Weltweit erzeugen die zehn größten Düngerhersteller insgesamt 131 Mio. Tonnen Stickstoffdünger, Phosphatdünger und Kalisalz. In Mitteleuropa produzieren die Stickstoffwerke allein in den drei Nachbarländern Österreich, der Slowakei und Ungarn normalerweise insgesamt 2,5 Mio. Tonnen vom Stickstoffdünger Kalkammonsalpeter. Dieser Menge steht ein Verbrauch von nur 1,2 Mio. Tonnen gegenüber, der Rest kann in einem Normaljahr exportiert werden. 

Zwar sinken die Absatzmengen an mineralischen Düngern seit fast drei Jahrzehnten, dennoch benötigen Landwirte mineralische Düngemittel, um eine erfolgreiche Ernte einfahren zu können. Damit Pflanzen wachsen und in der landwirtschaftlichen Nutzung die erhofften Ergebnisse bringen können, benötigen sie neben Sauerstoff und Licht auch Nährstoffe, wie Stickstoff, Kalium, Phosphor, Magnesium, Kalzium oder Schwefel. 

HABER-BOSCH-VERFAHREN 

Einer der wichtigsten Nährstoffe für die Pflanze, nämlich Stickstoff, kann seit 1905 industriell nach dem so genannten Haber-Bosch-Verfahren erzeugt werden. Unter hohem Druck und ebenso hoher Hitze entsteht unter gewaltigem Energieeinsatz der für Pflanzen verfügbare Stoff Ammoniak. 

Der Einsatz von mineralischem Dünger ist nicht neu. Der deutsche Chemiker Justus von Liebig stellte 1865 als Resümee seiner Forschungen fest: „Ein Boden ist fruchtbar für eine gegebene Pflanzengattung, wenn er die für diese Pflanze notwendigen mineralischen Nahrungsstoffe in gehöriger Menge, in dem richtigen Verhältnis und in der zur Aufnahme geeigneten Beschaffenheit enthält.“ 

Der amerikanische Agrarwissenschaftler und Nobelpreisträger Norman Borlaug wird vom Magazin „Cicero“ im Februar 2022 folgendermaßen zitiert: „Ohne Kunstdünger würde das Essen knapp“. Auf die Frage des Redakteurs: „Sie plädieren für Hochertragslandwirtschaft, warum?“, antwortete Borlaug: „Als ich geboren wurde, lebten 1,6 Mrd. Menschen auf der Welt. Nun sind es 6,5 Mrd. und jedes Jahr kommen 75 Mio. neue Erdenbürger hinzu, die essen wollen. Mit der Agrartechnik, die 1950 üblich war und die ziemlich dem Bio-Landbau von heute entspricht, bräuchten wir 1,1 Mrd. Hektar Ackerfläche mehr, um das Getreide für die Welternährung sicherzustellen. Durch Wissenschaft und Technik haben wir den Ertrag pro Hektar in fünfzig Jahren verdreifacht. Durch diesen Erfolg musste das Ackerland im gleichen Zeitraum nur um 10 % ausgeweitet werden. Was wäre mit den Wäldern und den Steppen geschehen ohne diesen wissenschaftlichen Fortschritt? Alles wäre unter den Pflug gekommen.“ Borlaug war kein Freund der Biolandwirtschaft. Die Frage „Wäre Biolandbau nicht besser für den Planeten?“ beantwortete er mit: „Unsinn. Das hieße, dass wir den Nutztierbestand verfünffachen oder versechsfachen müssten, um den notwendigen Dünger zu gewinnen, den wir für die Ackerböden brauchen. Der Pflanze ist es schnurzegal, ob der Stickstoff, den sie braucht, aus dem Sack mit Kunstdünger kommt oder aus dem Kuhstall. Ohne Kunstdünger könnte die Landwirtschaft weltweit nur 2,5 bis 3 Mrd. Menschen ernähren. Das bedeutet, die Hälfte der Menschheit müsste sterben. Ich frage mich, wo die Freiwilligen dafür herkommen sollen.“ 

DER SONNENHEBEL 

Der mineralischen Düngung werden in Diskussionen ihr CO2-Rucksack und damit ihre Umweltschädlichkeit vorgeworfen. Der Geschäftsführer des Ökosozialen Forums, Hans Mayrhofer, kontert mit einem Rechenbeispiel: Der Einsatz von 270 Kilogramm Stickstoff in zwei Gaben ergibt einen Mehrertrag von zwei Tonnen Weizen je Hektar. Geerntet wird neben den Körnern auch das Stroh und zusammen ergibt das eine Trockenmasse von 3,51 Tonnen pro Hektar. Bei einem Anteil von 46 % Kohlenstoff errechnen sich daraus 1,6 Tonnen Kohlenstoff pro Hektar. Diese Menge entspricht 5,9 Tonnen CO2-Äquivalenten, die durch einen Mehrertrag von zwei Tonnen Weizen pro Hektar gebunden werden. Stellt man diesem Ergebnis den CO2-Input durch den Dünger gegenüber, so kommt man auf 352,3 Kilogramm CO2-Äquivalente pro Hektar bei einem Einsatz von 100 Kilogramm Stickstoff. Den sich daraus errechnenden Faktor von 16,8 nennt Mayrhofer den „Sonnenhebel“, also jene Energie, die die Sonne zum Wachstum der Pflanzen beisteuert. 

EXTREM HOHE GAS- UND DÜNGERPREISE 

Während noch im Herbst die Gaspreise in Österreich zwischen 70 und 80 Euro je Megawattstunde pendelten, erreicht nun der Gaspreis als direkte Folge des russischen Überfalls auf die Ukraine mehr als 200 Euro, wobei er zwischendurch bereits Marken jenseits von 300 Euro erreichte. Das treibt auch den Düngerpreis weltweit in die Höhe. So kletterte der Preis für Harnstoffdünger in den USA seit Kriegsausbruch um 46 % auf 805 Dollar je Tonne. Eine ähnliche Preisentwicklung zeigten auch andere Düngemittel. 

GRÜNES GAS STATT ERDGAS? 

Angesichts der Tatsache, dass Experten nicht von einer raschen Erholung der Gas- und somit auch Düngerpreise ausgehen, ergibt sich die Frage, ob Erdgas aus Russland nicht durch grünes Gas aus Österreich ersetzt werden könnte. Alexander Bachler, Rohstoff- und Energie-Experte der Landwirtschaftskammer Österreich, sieht das grüne Gas bereits preislich konkurrenzfähig. In Österreich wurden nach dem „Grünen Bericht 2019/20“ rund 183.000 Tonnen Reinnährstoffe als Düngemittel eingesetzt, davon waren knapp 116.000 Tonnen Stickstoff. Der österreichische Düngerproduzent Borealis produzierte laut Geschäftsbericht 2020 in Linz knapp 4 Mio. Tonnen Pflanzennährstoffe und setzte dabei je Tonne 0,999 Megawattstunden Primärenergie ein. 

Bachler bringt es auf den Punkt: „Vereinfacht lässt sich somit sagen, dass die Produktion der in Österreich verwendeten Düngermenge 115,9 Gigawattstunden Primärenergie, das entspricht 115,9 Mio. Kilowattstunden, benötigt hat. Davon wiederum sind bei Borealis 33 % Erdgas, also 38,6 Gigawattstunden eingesetzt worden.“ 

Bezogen auf die österreichische Stickstoff-Düngermenge und ausgehend von der Machbarkeitsstudie „Reallabor zur Herstellung von Holzdiesel und Holzgas aus Biomasse und biogenen Reststoffen für die Land- und Forstwirtschaft“, 2020 von der TU Wien im Auftrag des Bundesministeriums für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus erstellt, würde, so Bachler, eine Holzgasanlage in kommerzieller Ausbaustufe, also in einer Größenordnung von 100 MW, bei 8.000 Volllaststunden rund 509 GWh/Jahr Gas produzieren. Diese Gasmenge entspricht ungefähr dem 13-fachen der benötigten Menge von 39 GWh. Dazu kämen noch 160 GWh Wärme. Eine solche Anlage, die es in dieser Größenordnung noch nicht gibt, würde der Studie zufolge schätzungsweise rund 150 Mio. Euro kosten. Der Rohstoffbedarf läge bei rund 330.000 Festmeter Holz/Jahr. Dazu Bachler: „Das entspricht einem Sägewerk mittlerer Größe und wäre aus heutiger Sicht leicht in Österreich aufbringbar. Der Betrieb wäre auch mit Holzreststoffen denkbar.“ 

AUFREGUNG UM BOREALIS-VERKAUFSPLÄNE 

Rasant steigende Düngemittelpreise und die russische Offensive in der Ukraine haben nach dem Bekanntwerden der Borealis-Verkaufspläne für politische Aufregung gesorgt. So verlangte der Präsident der Landwirtschaftskammer Niederösterreich, Johannes Schmuckenschlager, dass die Düngemittelversorgung in heimischer Hand bleiben müsse. Konkret war geplant, dass die OMV ihre Düngemittelsparte der Borealis an den russisch-schweizerischen Konzern EuroChem verkauft. Die Linzer Düngemittelproduktion sollte in der zweiten Jahreshälfte 2022 den Eigentümer wechseln. Schmuckenschlagers Forderung schloss sich auch der Präsident der Landwirtschaftskammer Oberösterreich, Franz Waldenberger, an. Waldenberger: „Die Sicherung unserer Ernährungssouveränität muss oberste Priorität haben. Daher müssen wir auch die Düngemittelproduktion bei Stickstoff als zentralen Pflanzennährstoff in heimischen Händen behalten.“ Die Verkaufspläne wurden aufgrund der Ukraine-Krise vorerst auf Eis gelegt. 

RETTUNGSANKER PFLANZENZÜCHTUNG 

Eine weitere Möglichkeit, Düngemittel umweltfreundlicher einzusetzen, bietet die Pflanzenzüchtung. Sie kann sich als Rettungsanker für eine klimafreundlichere Landwirtschaft erweisen, indem neu gezüchtete Pflanzen die gleichen oder gar bessere Erträge bei sinkendem Düngemitteleinsatz hervorbringen. Dass dies kein Ding der Unmöglichkeit sein muss, sieht selbst der Weltklimarat (IPCC), der in seinem Sonderbericht „Klimawandel und Landsysteme“ neben einer Vielzahl von Maßnahmen die Züchtung besser angepasster Nutzpflanzen auch mit Hilfe von „Genome Editing“ verlangt. „Fortschritte in der Pflanzenzüchtung“ seien von „entscheidender Bedeutung für die Verbesserung der Ernährungssicherheit unter sich ändernden klimatischen Bedingungen“, kann im IPCC-Sonderbericht nachgelesen werden. „Notwendig seien auch Zuchtprogramme für Pflanzen mit einer verbesserten Wasser- und Nährstoffnutzungseffizienz“, so der Weltklimarat, der dafür den Einsatz „biotechnologischer Verfahren“, wie der Genschere, vorschlägt. 

SELBSTDÜNGENDE PFLANZEN 

Für die Erreichung des Zuchtzieles, den Düngemitteleinsatz zu senken und trotzdem hohe Erträge zu erreichen, gehen die Forscher weltweit unterschiedliche Wege. So versuchen Wissenschaftler, dass nicht nur Leguminosen mit Knöllchenbakterien eine Symbiose bilden und auf diese Weise sich den Stickstoff selbst erzeugen können, sondern auch anderen Kulturpflanzen diese Eigenschaft anzuzüchten. Das John Innes Centre im britischen Norwich will erreichen, dass auch Getreide Knöllchenbakterien zur Düngung nutzt. An der Universität Bremen versucht man denselben Weg mit stickstofffixierenden Bakterien bei Reispflanzen zu gehen. In die gleiche Richtung forscht der Forschungsverbund ENSA (Engineering Nitrogen Symbiosis for Africa) unter Federführung des britischen Sainsbury Laboratoriums und der Universität Cambridge. Eine andere Forschungsrichtung ist die Steigerung der Effizienz der Stickstoffaufnahme der Pflanzen.