Kipp-Punkte im Klimasystem: null Emissionen. Null!

Das große Ganze Weiter Viele Einschränkungen und noch mehr Fragen

Kommentar; Ausgabe 116/2020, S. 2

16.10.2020

Dass mit unserem Klima und den Witterungsverläufen etwas nicht stimmt, ist sogar dem Klimawandelleugner klar. Beinahe jedes Gewitter entwickelt sich zu einem Unwetter. Durch die Erderwärmung werden die Ozeane aufgeheizt – dadurch entstehen wiederum große Mengen an Wasserdampf. Logische Folgen: Starkregen und Wirbelstürme.
Der Mensch hat die Achtsamkeit gegenüber der Natur aus den Augen verloren. Die Welt gerät dadurch massiv aus dem Gleichgewicht. Und wir zeigen „Talent“ darin, gleich an zwei Fronten das Grundfalsche zu tun … Die Emissionen der Treibhausgase steigen weiter, gleichzeitig werden Ökosysteme wie das Amazonasgebiet zerstört, die die Auswirkungen unseres Fehlverhaltens lindern könnten. Beängstigende Signale häufen sich. Das Auftauen der Permafrostböden heizt durch den Austritt von Methan und Kohlendioxid den Klimawandel zusätzlich an. Das Abschmelzen der Eismassen an den Polen lässt den Meeresspiegel ansteigen, die Ausbreitung der Wüsten treibt die Menschen in die Flucht.
Bedrohliche Entwicklungen entstehen vor allem durch die Bevölkerungsexplosion. Der wissenschaftliche, medizinische und technische Fortschritt wird die Zahl der Menschen bis zum Ende dieses Jahrhunderts auf zehn Milliarden hochschnellen lassen. Wir predigen eine nachhaltige und behutsame Nutzung der Ressourcen, exekutieren aber deren unverändert brutalen Raubbau. Seit der industriellen Revolution schleudern wir jedes Jahr Rekordmengen an fossiler Energie in die Atmosphäre.
Betrübliches Faktum: Zwischen den Jahren 1900 und 2000 wurden 1.000 Milliarden Tonnen CO2 zusätzlich zum natürlichen Kreislauf in die Atmosphäre geblasen. Allein in den letzten 20 Jahren kamen noch weitere 500 Milliarden Tonnen hinzu. Die Konsequenz müsste sein, für eine fortschreitende Reduktion der Emissionen fossiler Energie zu sorgen, anstatt immer mehr zu emittieren. Tatsache ist aber, dass künftig weltweit 1.500 Kohlekraftwerke gebaut werden sollen, allein 1.200 in Afrika. Der Anteil von CO2 in der Atmosphäre hat sich von 280 ppm im Jahr 1750 auf derzeit über 400 ppm erhöht. Kein Wunder, dass unser Klima „krank“ wird und verrückt spielt.

„VON DEN NEUN KIPP-ELEMENTEN STELLEN NACH EINSCHÄTZUNG DER BEFRAGTEN KLIMAFORSCHER DERZEIT DAS ABSCHMELZEN DES ARKTISCHEN POLAREISES UND DES GRÖNLÄNDISCHEN EISSCHILDS DIE GRÖSSTEN BEDROHUNGEN DAR.“

Das Wissen um Kipp-Elemente im Erdklimasystem erhält in der Diskussion der weltweiten Forschungsgemeinschaft neue Nahrung. Lange war man von linearen, allmählich stattfindenden Veränderungen ausgegangen. 2008 identifizierten britische und deutsche Klimaforscher jedoch erstmals neun potenzielle Kipp-Elemente im Erdklimasystem.
Der Weltklimarat betrachtete zunächst das Erreichen solcher Kipp-Punkte erst bei einer Erderwärmung von fünf Grad als wahrscheinlich. Sonderberichte kommen 2018 und 2019 zum Ergebnis, dass Kipp-Punkte mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits bei einer Erderwärmung von ein bis zwei Grad Celsius überschritten werden. Im Eiskörper des Planeten, in sich verändernden Strömungssystemen der Ozeane und der Atmosphäre sowie in Ökosystemen von überregionaler Bedeutung liegen die Gefahren.
Von den neun Kipp-Elementen stellen nach Einschätzung der befragten Klimaforscher derzeit das Abschmelzen des arktischen Polareises und des grönländischen Eisschilds die größten Bedrohungen dar. Einige Klimaforscher zählen bereits 16 Kipp-Punkte im Erdklimasystem, so die Permafrost- Böden, den Amazonas-Regenwald, den Golfstrom, die Zerstörung der Korallenriffe, um nur einige zu nennen.

„WIR BRAUCHEN UMGEHEND EINE GLOBALE KLIMAPOLITIK, DIE DIE ERFORDERLICHEN SCHRITTE ZU EINER NACHHALTIGEN ENERGIEWIRTSCHAFT IN ALLEN LÄNDERN DIESER WELT KONSEQUENT UMSETZT.“

Ob das Abschmelzen des arktischen Meereises bereits einen Kipp-Punkt überschritten hat oder dieser erst in Zukunft erreicht wird, diskutieren Experten seit Jahren. Als Folge der globalen Erderwärmung hat sich die Lufttemperatur in der Arktis seit den 1970er-Jahren um zwei Grad Celsius erhöht. Die sommerliche Meereisbedeckung ist seither um 40 Prozent zurückgegangen. Es bestehen große Unsicherheiten darüber, bei welcher globalen Temperatur diese Kipp-Punkte im Klimasystem erreicht werden, unter anderem deshalb, weil verschiedene Kipp-Elemente durch enorme Wechselwirkungen stark voneinander abhängen. Die Veränderungen sind unübersehbar dramatisch.
Wir brauchen umgehend eine globale Klimapolitik, die die erforderlichen Schritte zu einer nachhaltigen Energiewirtschaft in allen Ländern dieser Welt – allen voran den Industriestaaten – konsequent umsetzt. Diese Energiewirtschaft muss sich von Kohlendioxidemissionen verabschieden – zugunsten einer gesteigerten Energieeffizienz und des bestmöglichen Umstiegs auf erneuerbare Energiequellen.
Daher: Wir brauchen in der Wirtschaft einen Strukturwandel mit null Emissionen, null! Wir brauchen nicht weniger als eine dritte industrielle Revolution. Das Wissen dazu ist da, das Können ebenso. Was fehlt, ist der Mut. Dazu müssen wir uns aufraffen und die Instrumente der Ökosozialen Marktwirtschaft nutzen, die eine ökologische Kostenwahrheit vorsehen und ein striktes Verursacherprinzip einfordern sowie einen intelligenten Umbau bei Steuern, Abgaben und Förderungen beinhalten. Ohne einen Preis für die Emission von CO2 mit entsprechender Signalwirkung wird das Problem nicht lösbar sein. Internationale Wissenschafter schätzen die Wahrscheinlichkeit, dass die Zwei-Grad-Grenze noch einzuhalten ist, auf etwa zehn Prozent. Die Erderwärmung unter 1,5 Grad zu halten, sei pure Illusion.

Das ängstigt Ihren