Herausforderung Klima-Journalismus: Medienversagen mit ersten Lichtblicken

Wo bleibt das Wärmegesetz? Weiter Zukunftsfitte Energieversorgung

Exklusiv - die Reportage; #120/2021, S. 18-19

08.11.2021

Gastautor: Stefan Kappacher

Günther Mayr, Chef des Wissenschaftsressorts im ORF-Fernsehen, hat dank Corona eine eigene Sendung bekommen. Sie heißt „Mayrs Magazin“ und bietet Aufklärung mittels Augmented Reality im virtuellen Studio. Der Pandemie-Erklärer Mayr ist durch seine gewagten Sprachbilder vor täglichem Millionenpublikum in der „Zeit im Bild“ populär geworden, dieses journalistische Kapital steckt er jetzt in noch intensivere Klima-Berichterstattung. Im Magazin könne man mehr in die Tiefe gehen, zuletzt etwa mit einer anschaulichen Grafik über die instabile Atlantik-Strömung und die möglichen schwerwiegenden Folgen für das Klima.

ÜBERLEGUNGEN FÜR KLIMA-RESSORT IM ORF

Mayrs Idealvorstellung ist ein Klima-Ressort als Kompetenz-Zentrum, das die Info-Sendungen mit Know-how speist: „Es gibt Überlegungen bei uns, ein Klima-Ressort ins Leben zu rufen. Ich denke, dass das angebracht wäre. Es ist so ein Riesenthema, und da sind große Fachressorts einfach im Vorteil“ – nämlich beim Erkennen von Zusammenhängen, beim Zugang zu Expertinnen und Experten, bei der Beurteilung von Studien. Der ORF tut sich da dank seiner Größe und der vorhandenen Strukturen zur Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags leichter, was nicht heißt, dass auch alle Entscheidungen im Haus leichtfallen.

EIGENE CHEFIN VOM DIENST FÜR DAS KLIMA

Für kleinere Redaktionen hat Sara Schurmann vom deutschen Netzwerk Klima-Journalismus eine leistbare Idee: Sie schlägt vor, einen Chef oder eine Chefin vom Dienst für Klimafragen einzusetzen. „Der oder die wäre bei allen Konferenzen dabei, um die Kolleginnen und Kollegen zu beraten – was hat dein Thema mit der Klimakrise zu tun.“ Die kleine Wiener Wochenzeitung „Falter“ leistet sich ein Klima-Ressort, geleitet von Benedikt Narodoslawsky. Der sagt, die Klima-Berichterstattung im Blatt sei dadurch mehr geworden. Die Sorge, dass sich dann alle anderen in der Redaktion auf das neue Ressort verlassen, habe sich nicht bestätigt.

KAMPF UM SPEZIELLE FORMATE ZUR PRIMETIME

Narodoslawsky dreht es weiter und fragt: „Warum gibt es Wirtschaftssendungen und keine Klima-Sendung? Das ist doch völlig absurd.“ Die Frage ist vor allem, warum nicht in der Primetime? „Mayrs Magazin“ läuft erfolgreich im Vorabend, 387.000 sahen das zuletzt. Vor oder nach der „Zeit im Bild“ hätte das Klima freilich gleich ein Millionenpublikum, das man abzuholen versuchen könnte. In Deutschland kämpft die Initiative „Klima vor acht“ für Formate in der Hauptsendezeit nach dem Muster „Börse vor acht“. Bei der öffentlich-rechtlichen ARD sind sie noch nicht durchgedrungen, dafür beim Privatsender RTL mit einem „Klima Update“ zweimal wöchentlich nach den Nachrichten um 19 Uhr.

„DAILY CLIMATE SHOW“ AUF SKY IN ENGLAND

Es tut sich auch sonst überall was: Es gibt viele Klimaschutz-Portale im Netz, „Der Spiegel“ und neuerdings auch „Die Zeit“ in Deutschland haben Klima-Ressorts. In Österreich läuft auf Puls4 das Magazin „Klima-Heldinnen“, das „profil“ hat den „Tauwetter“-Podcast, die „Kleine Zeitung“ macht einen Klima-Newsletter. Auch Ö1 bietet ein Klima-Dossier mit Podcast auf seiner Website an, dort kommt man auch zum Klima-Newsletter von Franz Zeller, Sendungschef von „Matrix“ und „Digital.Leben“. Vorreiter ist freilich England, der Privatsender Sky News macht jetzt eine „Daily Climate Show“ – und der „Guardian“ ist in der Klima-Berichterstattung schon lange führend.

„GRÖSSTE JOURNALISTISCHE HERAUSFORDERUNG“

Wolfgang Blau hat auch beim „Guardian“ gearbeitet. Der Medienmanager, derzeit an der Universität in Oxford, meint, Klimaschutz sei so komplex und so mit Ängsten beladen, dass das beobachtbare Medienversagen eigentlich nicht überrasche: „Das ist journalistisch die größte Herausforderung, die es je gegeben hat. Das glaube ich inzwischen. Das ist das Führungsthema für jede Chefredaktion zu sagen, wir müssen jeden möglichen Weg finden, die Wahrnehmung der Menschen zum Thema Klimawandel zu erhöhen. Denn die Welt, in der wir jetzt leben und in der wir leben werden, ist einfach nicht mehr dieselbe.“

DAS UNWISSEN FÜHRT ZU EINEM TEUFELSKREIS

Blau sieht auch die Angst, das Versagen einzugestehen. „Der Klimawandel ist nicht neu, auch nicht, dass die Ursachen menschengemacht sind. Und die Angst, sich jetzt zu blamieren und Unwissen zu offenbaren, die ist groß.“ Vor allem bei FührungskraÅNften, weiß Blau. Er habe dazu viele Gespräche geführt. Ein Teufelskreis, der durchbrochen werden muss. Die Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb schildert, was das fehlende Bewusstsein auf der Führungsebene für Folgen hat. „Die Chefs schicken oft junge Kolleginnen und Kollegen aus, die eine Stunde vorher erfahren, dass sie jetzt eine Klima-Wissenschafterin interviewen. Und die haben dann halt keine Ahnung.“

ÜBERFORDERUNG UND FLUCHT IN DIE SCHLAGZEILEN

Ein Punkt, den auch ORF-Mann Günther Mayr bestätigt. Die Komplexität der Klima-Thematik bringe oft auch ihn und seine Leute an die Grenzen, man habe aber das fachliche Hintergrundwissen, um sich rasch wieder updaten zu können. Mayr: „Viele Redaktionen sind aber schlicht überfordert und retten sich in irgendwelche Schlagzeilen, die verkaufsträchtig erscheinen.“ Der Boulevard ist da besonders anfällig, wobei in Österreich gerade die beiden größten Boulevard-Blätter „Kronen Zeitung“ und „Heute“ die Klimakrise durchaus ernst nehmen.

KROMP-KOLB MIT DER „KRONE“ ALS SPRACHROHR

Die renommierte Wissenschafterin Kromp-Kolb schreibt seit zwei Jahren Kolumnen in der „Krone“, sie selbst hat den Kontakt zum Boulevard gesucht, wie sie sagt. „Es geht natürlich darum, viele Leute zu erreichen, die man sonst nicht erreicht. Ich halte viele Vorträge, aber die typischen Krone-Leser kommen dort nicht hin.“ Kromp-Kolb über die Qualität der Klima-Berichterstattung des Boulevardblatts: „Wie bei den meisten Medien gibt es in der Kronen Zeitung viele Artikel, die man aus Klimaschutz-Sicht so nicht bringen dürfte. Da ist das Klima-Thema, daneben laufen andere, die mit dem Klima eng verbunden sind – und dieser Konnex wird nicht hergestellt.“

GRÜNEN-SHAMING IM GRÜNEN MÄNTELCHEN

Die „Krone“ scheut auch nicht davor zurück, Shaming von Aktivisten zu betreiben – ganz aktuell gegen einen grünen Bezirksvorsteher- Stellvertreter in Wien, der Inlandsflüge für klimaschädlich hält. Der Mann hat auf die Frage einer Twitter-Userin, wo man jetzt noch schnell ein paar Tage Urlaub machen könnte, arglos geschrieben: „Algarve, Sardinien, Madeira, Malta“ – die „Krone“ hat das mit einem doppelseitigen Artikel in der von Millionen gelesenen Print-Ausgabe geahndet, Titel: „Grüner kritisiert Fliegen – außer an den Strand“.

DER GROSSE TROLL UND DIE VIELEN KLEINEN TROLLE

Neben dem großen Troll gibt es auch viele kleine Trolle im Netz, die Klima-Journalismus zusätzlich erschweren. Wolfgang Blau dazu: „Es ist so unglaublich zeitaufwendig, eine Geschichte zum Klimawandel zu machen, weil ich mich zum Teil wochenlang auf Social Media gegen Trolle wehren muss, die meine Recherchen und meine journalistische Qualifikation in Frage stellen.“ Auch der Druck von Lobbyisten der fossilen Wirtschaft sei enorm, sagt Blau. Lydia Matzka-Saboi hat sich dennoch nicht davon abhalten lassen, die Seiten zu wechseln. Die langjährige Sprecherin von Global 2000 hat mit 1. September das neue Klima-Ressort der Gratiszeitung „Heute“ übernommen.

EVA DICHAND HOLT „GLOBAL“-AKTIVISTIN ZU „HEUTE“

In Wien hat die „Heute“ mehr Reichweite als die „Kronen Zeitung“, und das Gratisblatt will das Klima-Thema laut Herausgeberin Eva Dichand zu einem neuen Schwerpunkt der Blattlinie machen. Matzka-Saboi soll zweimal in der Woche eine Seite gestalten, eine Kolumne schreiben und online einen Klima-Channel aufbauen. Die Ex-Aktivistin nimmt Maß an der Corona-Berichterstattung: „In der Pandemie hat sich jedes Ressort oft nur mit Corona beschäftigt. Da hab ich mir gedacht: So geht es auch, wenn man nur will.“ In der frischgebackenen Klima-Journalistin Matzka-Saboi manifestiert sich auch ein Dilemma, das mit zunehmender Dringlichkeit der Berichterstattung über die Folgen der Erhitzung der Erde immer größer wird. Journalisten werden als Aktivisten geframet, um ihnen Glaubwürdigkeit zu nehmen.

DER GRAT ZUM AKTIVISMUS IST SEHR SCHMAL

Auf der anderen Seite stehen oft wirtschaftliche Interessen und die Bremser der Politik. Eine Schieflage, die zur Herausforderung werden kann. Natürlich bleibe Ausgewogenheit auch beim Thema Klima wichtig, sagt die deutsche Journalistin Sara Schurmann, die sich für mehr Klima-Bewusstsein in Redaktionen einsetzt, aber: „Was ist die zweite Seite zu Klimaschutz? Kein Klimaschutz bedeutet, dass wir unsere Lebensgrundlage zerstören.“ Sie sei fest davon überzeugt, dass Journalismus in dieser Frage nicht neutral in die Mitte stehen könne.

STAND DER WISSENSCHAFT VERSUS VERHARMLOSUNG

Auch Narodoslawsky kennt diese Debatte, nachvollziehen kann er sie aber nicht. „Wenn ich weiß, dass das Klima ein riesiges Problem ist und das nicht eine Partei sagt, sondern die vereinte Wissenschaft, dann verstehe ich eigentlich nicht, warum man das als Journalist nicht massiv kritisieren soll.“ Es sei vielmehr ein Versagen, dass viele in den Medien noch immer nicht klare Worte finden und immer noch den sanfteren Begriff „Klimawandel“ wählen. „Immer wenn ich „Klimawandel“ lese statt „Klimakrise“, weiß ich, der hat sich noch nicht mit dem Thema beschäftigt“, sagt er.

REDAKTIONEN SOLLEN KLIMA-OBJEKTIVITÄT DEFINIEREN

Der Journalist Wolfgang Blau, der zum Thema Klimaberichterstattung forscht, hat eine Idee, wie man dem Dilemma begegnen kann. Man müsse Redaktionen dabei helfen, in ihren Statuten zu definieren, wann Berichterstattung als Aktivismus gilt. Ein Kriterium könne sein, dass journalistische Texte mehr als eine Option zur Lösung von Problemen anbieten sollten. Blau: „Wenn ich beispielsweise sage, die einzige Lösung, die Klimakrise in Österreich zu bekämpfen, ist diese Technologie oder diese eine politische Initiative, dann sollte ich schon aufhorchen.“ Die Debatte habe sich mittlerweile aber verselbstständigt und gehe schon so weit, dass Journalisten laut Blau „Angst haben, als Aktivisten dazustehen, wenn sie den Klimawandel oder die Klimakrise überhaupt nur erwähnen.“ Eine komplexe Herausforderung, die nach Quadratur des Kreises klingt.