Interview mit Johann Pluy

08.11.2021

(Aus: Printausgabe ökoenergie 120, S. 19)

WANN NUTZEN DIE ÖBB ZU 100 % ERNEUERBARE ENERGIEN?

Wir fahren schon seit 2018 zu 100 % mit Ökostrom auf den elektrifizierten Strecken. Erneuerbare Energien sind für uns nichts Neues. Die ÖBB sind Österreichs größtes Klimaschutzunternehmen. Seit über 100 Jahren sind wir Vorreiter bei der Elektromobilität. Mit dem vollkommenen Ausstieg aus fossilen Energien beschäftigen wir uns seit über einem Jahrzehnt. Unser Ziel ist es, bis 2030 den gesamten Mobilitätssektor auf Ökostrom umzustellen. Dazu erstellen wir gerade einen Umrüstplan für beispielsweise dieselbetriebene Verschubfahrzeuge. Auch eine Elektrifizierungsoffensive wird gestartet. 75 % unserer Strecken sind bereits elektrifiziert, und 90 % unserer Gäste nutzen diese.

WIE KANN MAN SICH DAS ENERGIEMANAGEMENT DER ÖBB VORSTELLEN?

Grundsätzlich brauchen wir im Schienenverkehr jährlich 2.000 GWh und zusätzliche 300 GWh Drehstrom für die Betriebsgebäude sowie Anlagen. Rund ein Drittel des Bahnstrombedarfs erzeugen wir selbst – überwiegend mit der Wasserkraft. Unsere Stromnetze sind eine Besonderheit, denn wir arbeiten mit einer Frequenz von 16,7 Hertz. Das Netz ist immensen Fluktuationen ausgesetzt, wodurch der Lastausgleich eine hohe Bedeutung hat. Sie müssen sich vorstellen: Ein Zug fährt in den Bahnhof ein, bremst und braucht dafür natürlich keine Energie. Beim Wegfahren werden aber wiederum plötzlich enorme Strommengen benötigt. Und das passiert österreichweit zigmal. 2.000 km an Stromnetzen und 15.000 km an Oberleitungen müssen dementsprechend gemanagt – auch in Krisensituationen. Jetzt gilt es, unsere Energieversorgung zukunftsfit zu gestalten.

WAS PLANEN SIE IM BEREICH DER ENERGIEERZEUGUNG?

Wir bieten allen Eisenbahnverkehrsunternehmen auf unserem rund 5.000 km langen Streckennetz 100 % grünen Bahnstrom. Dazu betreiben wir acht eigene Wasserkraftwerke. Im Salzburger Pinzgau bauen wir ein neues Pumpspeicherkraftwerk. Im Wasserkraftwerk Spullersee in Klostertal bei Arlberg werden moderne und hocheffiziente Anlagen neu installiert. Auch in Obervellach wird das Wasserkraftwerk auf den neuesten Stand der Technik gebracht. Dafür investieren wir rund 500 Mio. Euro und stehen mit dem Rückgrat unserer Bahnstrom-Erzeugung tip-top da. Wir bleiben aber am Ball. Bis 2030 möchten wir die jährliche Stromproduktion um 277 GWh erhöhen.

IST DIE WASSERKRAFT DIE EINZIGE LÖSUNG?

Nein, wir brauchen alle erneuerbaren Energieträger. Wir betreiben auch das weltweit erste Solarkraftwerk für Bahnstrom in Wilfleinsdorf. Das hat uns zuvor niemand zugetraut, aber es funktioniert. Im Augenblick sind wir beim Ausprobieren, was möglich ist. In Höflein bauen wir eine 3 MW Windkraft-Versuchsanlage. Die größte Herausforderung hierbei ist die nötige Regelfähigkeit. Aber der Trend in Richtung dezentrale Energielösungen ist augenscheinlich. Auf diesen Zug müssen wir aufspringen. Potentiale sind bei uns für Photovoltaik (PV) und Wind vorhanden. Auf der Weststrecke erproben wir in einem Pilotprojekt PV-Module an Schallschutzwenden. Die PV-Module müssen zunächst unter diesen besonderen Bedingungen getestet werden. Erstens stehen die Module wesentlich näher zur Strecke als beispielsweise bei der Autobahn. Zweitens fährt ein Zug mit über 200 km/h vorbei und erzeugt dadurch eine enorme Druckwelle.

IST ENERGIEEFFIZIENZ EIN THEMA?

Selbstverständlich! Energie ist einer unserer größten Kostenpunkte mit viel Einsparungspotential. Neben dem Einsatz moderner und effizienter Anlagen spielen bei uns die Digitalisierung und die MitarbeiterInnen-Schulung eine entscheidende Rolle. Mit der stärkeren Digitalisierung lassen sich optimale Fahrpläne gestalten. Die MitarbeiterInnen werden im Energiemonitoring geschult, wie zum Beispiel LokführerInnen in der energiesparsamen Fahrweise.

CO2-ABGABE – FLUCH ODER SEGEN?

Die CO2-Bepreisung ist in zweierlei Hinsicht gut für uns, denn es beschleunigt die Energie- sowie die Mobilitätswende. Steigen die Strompreise, werden alle einen Zahn zulegen müssen, damit einem die Kosten nicht davonlaufen. Wir trachten bereits jetzt danach, unabhängig von fossilen Energieträgern zu werden. Auf der anderen Seite erwarten wir durch die CO2-Bepreisung mehr Kunden und Kundinnen sowie mehr Transporte durch eine Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene. Dadurch brauchen wir mehr Kapazitäten. Wir müssen auch unser Angebot „upgraden“. In Städten ist vor allem die Taktfrequenz ein großes Thema. Doch man muss bedenken: Fahren die Züge statt im Dreiminuten- im Zweiminuten-Takt, benötigen wir 50 % mehr Züge. Für den Regionalverkehr ist der „Modal Split“ ausschlaggebend, also die optimale Verteilung der Mobilität auf verschiedene Verkehrsträger. Hierzu entwickeln wir neue ökologische Konzepte. Ein erfolgreiches Beispiel ist die Partnerschaft mit der Stadt Korneuburg, denn die Zukunft der Mobilität liegt neben den öffentlichen Verkehrsmitteln auch auf klimaschonenden Sharing-Services, damit die Gäste ihre täglichen Wege sowie die „erste“ und „letzte“ Meile von und zum Bahnhof unkompliziert und lückenlos zurücklegen können.