Exklusiv – die Reportage, S. 18-19

16.10.2020

Energiegemeinschaften können bei der Umsetzung der ehrgeizigen Klima- und Energieziele einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie lokale Akteure zu einem aktiven Teil des Energiesys- tems machen und ihnen damit eine direkte Partizipation an der Energiewende ermöglichen. Die grundsätzliche Bedeutung von Energiegemeinschaften hat auch die Europäische Union er- kannt und eine Reihe von Regelungen im Rahmen ihres „Clean Energy Package“ erlassen, um die Rolle von Energiegemeinschaften zu stärken. Spannend bleibt in diesem Zusammenhang, wie Österreich den Handlungsspielraum bei der Umsetzung der EU-Vorgaben in nationales Recht nutzen wird und damit die Frage, ob sich Österreich als Vorreiter in Bezug auf Energie- gemeinschaften positionieren kann, oder ob hierzulande Energiegemeinschaften im Schatten der arrivierten Player ein Dasein als Mauerblümchen fristen werden.

Im Gegensatz zu den bisher weitgehend zentral geprägten Erzeugungsstrukturen in Großkraftwerken wird der weitere Ausbau erneuerbarer Energien auch in Österreich tendenziell zunehmend dezentralere Strukturen mit sich bringen. Die De- zentralisierung unseres Stromversorgungssystems wird sich jedoch nicht auf die Erzeugungsseite beschränken, sondern auch die Speicherung sowie den unmittelbaren Vor-Ort-Verbrauch der erzeugten bzw. gespeicherten elektrischen Energie in zum Teil neuen Anwendungsbereichen, wie etwa E-Fahrzeugen und Wärmepumpen, (Stichwort Sektorkopplung) einschließen. Einzelne BürgerInnen und Gemeinden oder Gewerbe- und Industrieunter- nehmen werden damit immer mehr ein unmittelbarer Teil des sich verändernden neuen Energiesystems, wodurch die Partizipation dieser Marktakteure zunehmend zu einem kritischen Erfolgsfaktor für die Umsetzung einzelner Energieprojekte wird.

EU CLEAN ENERGY PACKAGE SCHAFFT DEN RECHTLICHEN RAHMEN FÜR ENERGIEGEMEINSCHAFTEN

Mit dem Clean Energy Package for all Europeans (das sogenannte Winterpaket) hat die EU unter anderem auch die Stellung der dezentralen Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien in vielen Punkten verbessert. Neben Regelungen zu sogenannten aktiven Kunden („Prosumer“) und zum Eigenverbrauch wird in den Umsetzungs-Richtlinien insbesondere auch die zukünftige Rolle von Energiegemeinschaften in Form von lokalen Energiegemeinschaf- ten bzw. Bürgerenergiegemeinschaften (Art. 16 Strommarkt-RL) sowie Erneuerbare-Energien-Gemeinschaften (Art 22 EE-RL) neu definiert.

Bürgerenergiegemeinschaften (BEG) und Erneuerbare-Energien-Gemeinschaften (EEG) haben in ihrer grundsätzlichen Ausprägung Ähnlichkeiten. In den Details können sich die Anforderungen aber durchaus deutlich unterscheiden. Beide Formen der Energiegemeinschaften stellen einen freiwilligen Zusammenschluss von natürlichen Personen, öffentlichen Stellen bzw. lokalen Behörden (inkl. Gemeinden) oder Kleinunternehmen dar, wobei BEGs von den Anteilseignern/Mitgliedern tatsächlich, und EEGs „wirksam“ kontrolliert werden. Wesentlich ist dabei auch, dass der Haupt- zweck von EEGs/BEGs nicht auf die Erzielung von Gewinn im betriebswirtschaftlichen Sinn abstellen darf, sondern die Schaffung ökologischer, wirtschaftlicher oder gemeinschaftlicher Vorteile für die Mitglieder oder das Tätigkeitsgebiet vor Ort im Fokus steht.

Bürgerenergiegemeinschaften können grundsätzlich in sämtlichen Wertschöpfungsbereichen für ihre Anteilseigner oder Mit- glieder tätig sein, das heißt neben Energieerzeugung und -speicherung unter anderem auch in der Verteilung und Versorgung sowie als Anbieter von Energieeffizienzdienstleistungen oder Ladedienstleistungen für Elektrofahrzeuge. Demgegenüber sind die Tätigkeiten von EEGs auf erneuerbare Energien beschränkt und in Bezug auf das Anbieten von Energiedienstleistungen für ihre Mitglieder an engere Vorgaben gebunden. Sowohl EEGs als auch BEGs können den selbst erzeugten Strom verbrauchen, speichern und verkaufen. Die Mitglieder einer Energiegemeinschaft können den erzeugten Strom also gemeinsam nutzen („electricity sharing“), wobei der von einer Energiegemeinschaft erzeugte Strom über das öffentliche Netz oder über ein von der Energiegemein- schaft betriebenes Netz unter ihren Mitgliedern verteilt werden kann.

ENERGIEGEMEINSCHAFTEN ALS BAUSTEIN DER ÖSTERREICHISCHEN ENERGIE- UND KLIMAZIELE

Der Vorstoß der EU zur Etablierung von EEGs/BEGs in den Mit- gliedsstaaten hat gute Gründe, denn die energiepolitischen Zie- le können nur dann erreicht werden, wenn die vom Ausbau der erneuerbaren Energien betroffene Bevölkerung uneingeschränkt hinter der Energiewende steht bzw. die vom Ausbau betroffenen Regionen wirtschaftlich und strukturell gestärkt werden. Energiegemeinschaften schaffen einen konkreten Nutzen für die Region und können vor allem auch den ländlichen Raum stärken, da im Vergleich zu einem ausschließlich zentral koordinierten EE-Ausbau ein deutlich größerer Anteil der Wertschöpfung in der Region verbleibt. Energiegemeinschaften können dadurch einen wirtschaftlichen Ausgleich zwischen den erzeugenden ländlichen und verbrauchenden städtischen Regionen herstellen. Energiegemeinschaften ermöglichen aber auch im städtischen Bereich Bürgerinnen und Bürgern unabhängig von den Voraussetzungen in der eigenen Wohnung bzw. im eigenen Gebäude eine aktive Partizipation am Energiesystem.

Das zukünftige österreichische Energiesystem wird jedoch nicht nur durch ein hohes Maß an Dezentralität in der Stromerzeugung und -speicherung, sondern insbesondere auch durch eine zunehmende Elektrifizierung des Mobilitäts- und Wärmebereichs gekennzeichnet sein. Das Stromnetz wird damit zur Drehscheibe zwischen den Sektoren, wobei der zusätzliche Stromverbrauch durch beispielsweise Elektrofahrzeuge und Wärmepumpen einen hohen verbrauchernahen und damit dezentralen Anteil haben wird. Entsprechend werden für einen lokalen Ausgleich der Schwankun- gen der Stromerzeugung aus Windkraft und PV zukünftig mehr Optionen auf der Verbraucherseite zur Verfügung stehen. Energie- gemeinschaften können diese Flexibilitätspotenziale ihrer Mitglieder erschließen und damit Schwankungen von lokaler Erzeugung und lokalem Verbrauch unmittelbar vor Ort ausgleichen.

FRONT RUNNER ODER LATE MOVER – WIE SOLLTE DER RECHTLICHE RAHMEN IN ÖSTERREICH AUSSEHEN?

Österreich ist wie alle EU-Mitgliedsstaaten verpflichtet, einen geeigneten Regulierungsrahmen für EEGs und BEGs zu schaffen, um die europäischen Richtlinien in nationales Recht zu überführen. Dabei gestehen die EU-Richtlinien den Mitgliedsstaaten einen gewissen Handlungsspielraum bei der konkreten Ausgestaltung des nationalen Rechtsrahmens zu. Österreich sollte diesen Spielraum proaktiv nutzen und sich als Vorreiter in Bezug auf die Schaffung eines für Energiegemeinschaften „freundlichen“ Marktumfelds positionieren.

Dabei sollte insbesondere berücksichtigt werden, dass die Einstiegshürden niedrig sind, d. h. die Umsetzung von Energiegemeinschaften möglichst einfach ist und bürokratische Hemmnisse oder komplexe organisatorische bzw. wirtschaftliche Anforderungen auf ein Minimum reduziert werden. Neben klaren und rechtlich unstrittigen Regelungen sollten die Rahmenbedingungen für EEGs und BEGs soweit möglich einheitlich definiert werden, damit die Wahl der im Einzelnen passenden Form der Energiegemeinschaft nicht durch einschränkende gesetzliche Festlegungen erschwert wird. Ein wesentlicher Punkt stellt auch die Einführung einer für Energiegemeinschaften kostenorientierten Netzentgelt- systematik dar. Dabei sollten für die gemeinsame Nutzung des von einer Energiegemeinschaft erzeugten Stroms nur jene Netz- tarife verrechnet werden, die sich aus den Kosten der in Anspruch genommenen Netzinfrastruktur unmittelbar ableiten lassen, wobei Netzebenen übergreifende Aktivitäten explizit ermöglicht wer- den sollten. Zusätzlich sollte auch sichergestellt werden, dass gerade für die ersten Pilotprojekte keine finanziellen Nachteile entstehen. Als begleitende Maßnahme sollten interessierte Personen und Institutionen vor und während der Gründungsphase daher Unterstützung durch eine neutrale Ansprechstelle erhalten können sowie ein zusätzlicher finanzieller Anreiz durch bspw. direkte Anreizförderungen oder zeitlich befristete steuerliche Erleichterungen geschaffen werden.

EAG-ENTWURF GIBT RICHTUNG VON ENERGIEGEMEINSCHAFTEN IN ÖSTERREICH VOR

In dem am 16. September 2020 vorgelegten Begutachtungsentwurf des Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzes (EAG) sind unter anderem auch die rechtlichen Regelungen zur Umsetzung von EEGs und BEGs in Österreich enthalten. Auch wenn im Detail an manchen Stellen noch offen ist, wie die im Entwurf aufgenommenen Punkte in der Praxis umzusetzen sind, geht der Entwurf in vielen Bereichen doch in die richtige Richtung. Als für die Etablierung von EEGs sehr vorteilhaft ist insbesondere die mit Netzebene 5 vergleichsweise weiträumige Abgrenzung des Wirkungsbereichs von EEGs, die eine Durchleitung des von der EEG erzeugten und von den Mitgliedern verbrauchten Stroms auf den Netzebene 5 (inklusive Sammelschiene im Umspannwerk) bis 7 vorsieht und damit beispielsweise auch gemeindeübergreifende Projekte ermöglichen würde. Dabei sollen für die Durchleitung die Kosten der vorgelagerten Netzebene(n) nicht berücksichtigt werden, sondern vergünstigte Netzentgelte in Form eines österreichweit einheitlichen „Ortstarifs“ verrechnet werden. Auch ist vorgesehen, dass für den innerhalb einer EEG gemeinschaftlich erzeugten und verbrauchten Strom kein EAG-Förderbeitrag zu entrichten ist. Diese wirtschaftlichen Anreize sind im EAG-Begutachtungsentwurf jedoch nur für EEGs und nicht für BEGs vorgesehen. Ob die im EAG vorgesehenen Regelungen über einzelne Pilotprojekte hinaus für eine breite Etablierung von EEGs und gegebenenfalls auch BEGs ausreichend sein werden, wird sich zeigen. Bis Ende 2023 muss das Bundesministerium für Klimaschutz jedenfalls eine Analyse über Hindernisse und Entwicklungspotenziale von EEGs erstellen. Eine Unterstützung von in Gründung befindlichen Energiegemeinschaften durch einen neutralen Ansprechpartner sowie einen zusätzlichen finanziellen Anreiz für „First Mover“ würde sicherlich dazu beitragen können, dass im Rahmen einer solchen Analyse die Potenziale und weniger die Hindernisse von EEGs aufgezeigt werden können. Im EAG-Entwurf ist eine solche begleitende Unterstützung allerdings nicht vorgesehen.

BEISPIEL EE-GEMEINSCHAFT: STROMVERSORGUNG AUS EINEM REVITALISIERTEN KLEINWASSERKRAFTWERK

Nach über 100 Jahren Betrieb hat ein gemeindeeigenes Kleinwasserkraftwerk das Ende seiner technischen Lebensdauer erreicht. Im Zuge einer umfassenden Revitalisierung müssen daher alle wesentlichen Anlagenkomponenten erneuert sowie zur Herstellung der Durchgängigkeit des Gewässers ein Fischaufstieg errichtet werden. Bei der Umsetzung des Vorhabens schlägt die Gemeinde einen neuen Weg ein und beschließt zur Finanzierung eine Erneuerbare-Energien-Gemeinschaft zu gründen. Beteiligen können sich an der genossenschaftlich organisierten Energiegemeinschaft alle in der Gemeinde selbst sowie im hydrologischen Einzugsgebiet des Kraftwerks wohnhaften Personen und ansässigen Unternehmen.

Mit ihrer finanziellen Beteiligung erwerben die AnteilseignerInnen das Recht an einem der Höhe ihrer Mitgliedschaft entsprechenden aliquoten Anteil der jährlichen Stromerzeugung des Kleinwasserkraftwerks, das heißt die Rückzahlung bzw. Verzinsung des eingesetzten Kapitals erfolgt in Form eines Strombe- zugsrechts. Der Strom kann dabei zur (teilweisen) Deckung des eigenen Verbrauchs verwendet oder über einen Dienstleister zu Marktpreisen verkauft werden. Der Dienstleister ist dabei auch für das Bilanzgruppen- und Portfoliomanagement verantwortlich und übernimmt für die aus dem Wasserkraftwerk mit „eigenem“ Strom direkt versorgten Mitglieder der Energiegemeinschaft die Funktion des Stromlieferanten.

Ein Teil der Betriebsüberschüsse aus dem Kraftwerk wird genutzt, um Investitionen in PV-Anlagen und den Aufbau einer regionalen Ladeinfrastruktur für E-Fahrzeuge zu finanzieren. Die PV-Anlagen verbleiben im Eigentum der Genossenschaft; die erzeugten Strommengen werden an die Mitglieder geliefert bzw. über den Dienstleister direkt vermarktet. An den öffentlichen Ladestationen können die Mitglieder der Energiegemeinschaft im Rahmen ihrer aliquoten Strombezugsrechte „kostenlos“ Strom tanken, wobei an einer über eine Direktleitung versorgten Schnellladestation nicht nur die Kosten der Energielieferung, sondern auch die Netzentgelte entfallen.

BEISPIEL BÜRGERENERGIEGEMEINSCHAFT: NAHWÄRME-VERSORGER WIRD ZU REGIONALEM DIENSTLEISTER

In einer Gemeinde wird seit Jahren ein genossenschaftlich geführtes Biomasse-Nahwärmenetz betrieben. Durch den aktuell bis 2040 vorgesehenen Ausstieg aus der fossilen Wärmeerzeugung möchte die Gemeinde ihren BürgerInnen und Bürgern sowie den in der Gemeinde ansässigen Unternehmen eine Alternative zu Wärmepumpen und Pelletskesseln als dezentrale Wärmeerzeuger bieten und erweitert daher ihr Nahwärmenetz. Parallel dazu wird die Genossenschaft von einer landwirtschaftlich geführten Struktur in eine Bürgerenergiegemeinschaft umgewandelt. Dadurch kann einerseits eine breitere Teilhabe der Bevölkerung an der Energiewende erreicht werden. Andererseits kann sich die Genossenschaft von einem reinen Wärmelieferanten in einen regionalen Energiedienstleister weiterentwickeln. Hierfür erweitert die Energiegemeinschaft ihr Leistungsspektrum auf die Erzeugung und den Vertrieb von elektrischer Energie sowie die Finanzierung von Contracting-Projekten. Zur Stromerzeugung beteiligt sich die Genossenschaft bei einem im Bezirk gelegenen Windpark und finanziert über Pachtmodelle den Bau von Photovoltaikanlagen auf Gewerbegebäuden. Der erzeugte Strom wird über einen an der Energiegemeinschaft partnerschaftlich beteiligten Ökostromanbieter vermarktet und kann von den Mitgliedern der Genossenschaft als 100% regional und in eigenen Anlagen erzeugter Strom bezogen werden. Zusätzlich können die Mitglieder der Bürgerenergiegemeinschaft ihren eigenerzeugten PV-Strom über eine vom Ökostromanbieter bereitgestellte peer-to-peer-Plattform anbieten und damit direkt untereinander handeln. Der Ökostromanbieter übernimmt auch in diesem Fall das Bilanzgruppenmanagement und die Stromabrechnung sowie den Ausgleich von Mehr- und Mindermengen.

Die Gewinne der Energiegemeinschaft werden als regionale Wertgutscheine an die Mitglieder ausgegeben bzw. verbleiben innerhalb der Genossenschaft, um eine nachhaltige Entwicklung der lokalen Energieversorgung weiter vorantreiben zu können. Ein wesentlicher Baustein hierfür ist die Initiierung, Begleitung und Finanzierung von Contracting-Projekten im privaten und gewerblichen Bereich, wobei ein besonderer Fokus auf die thermische Sanierung von Gebäuden und den Umbau von Heizsystemen in Gebäuden, die nicht an das Nahwärmenetz angeschlossen werden können, gelegt wird.