Kommentar; #122/2022, S. 2

19.07.2022

Die Energieproduktion der EU ist seit Jahren rückläufig. Im Gegensatz dazu haben sich die Energieimporte massiv erhöht. So bewegt sich der Anteil der Importe am Energieverbrauch seit 2004 bei mehr als 50 %. Bei Öl, Gas und bei festen Brennstoffen wie Kohle ist Russland mit Abstand wichtigster Zulieferer. Mittlerweile ist Europa in einer unheiligen, mehr als bedrohlichen Allianz mit dem feinen Herrn im Kreml gefangen. In der Zwischenzeit ist selbst Russlandfans in der EU klargeworden, dass durch seinen mörderischen Überfall auf die Ukraine die Karten auf dem Energiesektor neu gemischt wurden. Nunmehr bekommen wir die Rechnung für jahrzehntelanges Nichtstun serviert.

Mit anderen Worten: Auf dem chancenreichen Feld der erneuerbaren Energien wurde mehr oder minder alles verschlafen und alles verbockt. Fast jedes noch so entlegene alpine Seitental wurde mit Gasleitungen verpflastert und mit Öl-Lieferungen zugeschüttet. Gnadenlos wurden ganze Regionen und Länder zu Gasjunkies umgepolt, von Energieraumplanung unter Berücksichtigung der wertschöpfungsintensiven Biomasse war wenig die Rede. Selbst aufgeschlossene Regionalpolitiker in den Bundesländern vollzogen den Umstieg auf das angeblich so „grüne“ Erdgas.

“NUNMEHR BEKOMMEN WIR DIE RECHNUNG FÜR JAHRZEHNTELANGES NICHTSTUN SERVIERT.

Das Verhältnis von Europa zu seinem Hauptlieferanten von Gas ist nunmehr etwa vergleichbar mit der Abhängigkeit von schwer drogensüchtigen Junkies von ihren Dealern. Im wieder erstarkten Russland, das durch den hohen Ölpreis den Aufstieg vom Pariser Schuldnerclub zum schuldenfreien Öl- und Gaskrösus schaffte, kam neues Selbstbewusstsein auf – aber auch Kriegslust, wie der Überfall auf die Ukraine schlagend beweist.

Gebetsmühlenartig beteuern Vertreter der Gaswirtschaft, dass die Verbrennung von Erdgas über alle Maßen umweltfreundlich sei. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Bei der gesamten Umweltbilanz wird übersehen, dass der Hauptgrund für die geringere Umweltbelastung im Vertuschen von Methan liegt. Immerhin ist Methan rund 30-mal so umweltbelastend wie Kohlendioxid. Eduard Schewardnadse, ein sowjetischer und georgischer Politiker, der von 1985 bis 1990 Außenminister der Sowjetunion war, musste einräumen, dass in den alten sowjetischen Förderanlagen 50 Prozent der geförderten Menge als Leckage in die Atmosphäre emittiert werden müssen. Auch das Entweichen von Erdgas aus dem Transportsystem einerseits und die Pumpenergie andererseits müssen in die Gesamt-Energiebilanz der Erdgasnutzung eingerechnet werden.

“DAS VERHÄLTNIS VON EUROPA ZU SEINEM HAUPTLIEFERANTEN VON GAS IST NUNMEHR ETWA VERGLEICHBAR MIT DER ABHÄNGIGKEIT VON SCHWER DROGENSÜCHTIGEN JUNKIES VON IHREN DEALERN.“

Schätzungen über die Erdgas-Weltreserven sind mit Vorsicht zu genießen. Prognosen von Industrieunternehmungen und Forschungsinstitutionen liefern unterschiedliche Einschätzungen. Das Produktionsmaximum von Fossilenergie ist in Nordamerika längst erreicht. Andere Lagerstätten werden zusätzlich ausgebeutet, das verbleibende Erdgas wird von vielen Verbrauchern nachgefragt. Die Verknappung der Fossilenergie, insbesondere von Gas, wird jedoch explodierende Preise auslösen, wie die jüngste Vergangenheit in erschreckendem Ausmaß beweist. Dass dadurch das gesamte Wirtschaftssystem tangiert wird, ist keine Frage mehr. Jetzt beginnt das große Fracksausen …

Für die Nukleartechnologien gelten ähnliche Rahmenbedingungen. Machen wir uns nichts vor: Der lebensnotwendige Umstieg vom zerstörerischen fossil-atomaren Energiesystem zu einer zukunftssicheren solaren Energiewirtschaft ist längst in vollem Gange. Diese solare Welt wird unendlich viel Energie ohne Verbrennungsmüll und radioaktive Verseuchung möglich machen. Weg von riesigem Militär- und Katastrophenpotenzial und weg von bedrohlicher Abhängigkeit.

“LEIDER WURDEN DIE CHANCEN ÖSTERREICHS, EINE WELTWEITE VORREITERROLLE IM AUSBAU ERNEUERBARER ENERGIEN ZU ÜBERNEHMEN, STRÄFLICH VERNACHLÄSSIGT UND VERSPIELT.“

Lippenbekenntnisse gibt es noch und nöcher, viele Entscheidungsträger in Wirtschaft und Politik singen wahre Lobeshymnen über die Verwendung solarer Energieformen. Um mit ihren definitiven Entscheidungen gleichzeitig den Umstieg auf erneuerbare Energie zu bremsen, zu verzögern und letztlich zu verhindern. Diese neue Welt mit lebenswerten Energieformen müsste und könnte warten – bis sich die alten „Systeme“ abgeschrieben haben.

Heinz G. Kopetz, früherer Präsident des Weltbiomasseverbandes, stellt den Regierenden in Österreich kein gutes Zeugnis aus. Das Klimaproblem und die Verantwortung dafür werden mit System ignoriert. Leider wurden die Chancen Österreichs, eine weltweite Vorreiterrolle im Ausbau erneuerbarer Energien zu übernehmen, sträflich vernachlässigt und verspielt. Länder wie Dänemark, Schweden und Deutschland gehen mit voller Kraft voraus. Wenn die Energie- und Umweltpolitik nach bisherigem Muster weitergeführt wird, dann wird die Chance für Österreich, einen wirksamen Beitrag zur Sanierung des Energiesystems und zur Verlangsamung der Erderwärmung zu leisten, schmählich vertan. Diese Möglichkeiten sind für immer dahin, denn die Natur gewährt keine zweite Chance, notwendige Entscheidungen zeitgerecht zu treffen. Daher ist eine verantwortungsvolle und vorausschauende Energie- und Umweltpolitik im Sinne des ökosozialen Ansatzes des Agrar-Vordenkers Josef Riegler mehr denn je zu einer Überlebensfrage unseres Zivilisationsmodells geworden. Das bedeutet schlicht und ergreifend für die Energie- und Klimapolitik den absoluten Vorrang für erneuerbare Energien. Von der Vision zur Realität, diesen Weg müssen wir gehen, meint Ihr