Wer ist schuld an den hohen Energiepreisen?

Gasjunkie EU Weiter Die Rolle der Holzernte im Kohlenstoffkreislauf

Titelstory; #122/2022, S. 3

19.07.2022

Gastautoren: Franz Angerer und Karina Knaus

Der Angriffskrieg Russlands ist eine Zäsur. Doch schon davor sind die Energiepreise massiv gestiegen – und zwar, weil die fossilen Energieträger deutlich teurer wurden. Wir sehen eine “Fossilflation“. Einen Ausweg bietet der Ausbau Erneuerbarer mit ihren preisdämpfenden Effekten. 

Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat – nicht nur – die Energiewelt komplett verändert. Versorgungssicherheit war in der Vergangenheit kaum ein Thema, plötzlich ist sich Europa sehr rasch und schmerzlich seiner Abhängigkeit von russischem Erdgas und – wenn auch etwas weniger – russischem Erdöl bewusst geworden. Österreich liegt dabei im Spitzenfeld, stammte doch das hierzulande eingesetzte Erdgas zu rund 80 % aus Russland. Zwar gibt es reduzierte Flüsse aus Russland, aber weitgehend stabile Importe in das Marktgebiet Ost – also Österreich. Die Situation ist dabei dynamisch und kann sich laufend ändern. Grundsätzlich hat die Invasion jedenfalls zu einer Neubewertung der Versorgungssicherheit und damit auch zu steigenden Preisen geführt. Preismodelle kommen an ihre Grenzen, da wesentliche Faktoren nicht ökonomisch, sondern politisch bestimmt sind: Wenn ein Marktteilnehmer mit Monopolstellung Energie als Waffe einsetzt und damit Staaten erpresst oder bisher kaum vorstellbare Embargos im Raum stehen, können die Auswirkungen nur schwer berechnet werden. Klar ist, die Schwankungen am Markt sind enorm, ebenso die Preise am Großhandelsmarkt. Der Österreichische Gaspreisindex (ÖGPI) lag etwa im Juni 2022 gegenüber dem Vorjahr um 424 % höher, Strom im Großhandel war um 202 % teurer.

PREIS-RALLYE BEREITS VOR DEM KRIEG

Dabei gilt zu betonen: Die Energiepreise liegen nicht erst seit der russischen Invasion auf Rekord-Höhe. Der Gaspreis für Industrie und Gewerbe stieg schon im vergangenen Jahr 2021 von 3,31 Cent/kWh im ersten Halbjahr um 94,9 % auf 6,44 Cent/kWh im zweiten Halbjahr. Beim reinen Energiepreis waren es sogar 143 % (von 1,99 Cent/kWh auf 4,83 kWh). Dieses Plus ist beachtlich, da die stärksten Preissteigerungen erst gegen Ende 2021 stattgefunden haben und damit noch gar nicht inkludiert sind. Die österreichischen Haushalte waren schon im vergangenen Jahr mit sehr hohen Energiekosten konfrontiert. Sie haben in Summe im Jahr 2021 um 12,1 % mehr für Energie gezahlt als im Krisenjahr 2020, so die Ergebnisse des Österreichischen Energiepreisindex. Auch im Vergleich mit dem letzten Jahr vor der Pandemie (2019) ist das ein Plus von 6 %.

WIE KAM ES DAZU?

Mit der Erholung der Wirtschaft nach dem Krisenjahr 2020 ist die weltweite Nachfrage nach Energieträgern und damit deren Handelspreis gestiegen. Bereits im Frühjahr 2021 (Ende März) waren die durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie ausgelösten Preiseinbrüche des Jahres 2020 ausgeglichen. Spätestens ab der zweiten Jahreshälfte 2021 stiegen die Energiepreise für Haushalte deutlich über das Vorkrisenniveau an. Ende 2021 kam es zur Preisrallye auf den Großhandelsmärkten für Gas und Strom. Aber auch die Großhandelspreise anderer, erdölbasierter Energieträger sind gestiegen und lagen Ende 2021 deutlich über dem Niveau von 2019. Im Schatten dieser Steigerungen waren auch Preissteigerungen von anderen Energieträgern wie Holz und Pellets zu beobachten.

ERDGAS ALS ZENTRALERPREISTREIBER

Die Entwicklung der Gaspreise war 2021 das beherrschende Thema auf den Energiemärkten Europas. Beginnend mit dem Frühjahr 2020 war ein starker Einbruch des Gaspreises zu beobachten. Teilweise lag der Großhandelspreis für eine Kilowattstunde Gas unter 0,5 ct. Das war ein historisch niedriges Niveau. In der zweiten Jahreshälfte 2020 begann eine kontinuierliche Preissteigerung, die bis dato so nicht zu beobachten war. Gleichzeitig ist in diesem Zeitraum auch die ungewöhnliche Situation eingetreten, dass Gaslieferungen im Winter 20/21 billiger waren als im Sommer 2021. Zu erklären war dies durch gut gefüllte Speicher und anhaltend niedrige Nachfrage. Im Jahr 2021 hat sich diese Situation jedoch umgekehrt. Nach einem besonders langen Winter waren die Speicher in Europa im Frühjahr unterdurchschnittlich gefüllt. Diese Situation wurde durch unterschiedliche Gründe verschärft, die von vielen AnalystInnen damals als „Perfect Storm“ bezeichnet wurden:

• Der rasche Anstieg der Gasnachfrage, insbesondere in Asien (primär LNG) aufgrund der wirtschaftlichen Erholung

• Keine zusätzlichen Lieferungen aus Russland, das heißt nicht über die bereits vertraglich vereinbarten Mengen hinaus

• Niedrige Speicherfüllstände (auch in Russland)

• Infolge der Invasion Russlands in der Ukraine sind die Gasflüsse aus Russland zwar reduziert worden, in Österreich waren die Importe aber weitgehend stabil. Die Situation ist dabei dynamisch und kann sich laufend ändern. In Summe kam es aber zu einer Neubewertung der Versorgungslage, die sich im Preis widerspiegelt.

• Wartungsarbeiten an Pipelines, Kraftwerken und Gasfeldern

Aus heutiger Sicht muss man die Ursachen durchaus anders bewerten, die strategischen Entscheidungen von Russland und dem Land zugehörigen Energieunternehmen als Vorbereitung für den im Februar 2022 begonnenen Angriffskrieg auf die Ukraine werden eine Rolle gespielt haben.

Die Kombination all dieser Umstände hat zu einem enormen Preisanstieg geführt. Der Großhandelspreis lag Ende 2021 bei über 15 ct/kWh. Das entspricht einer Verdreißigfachung innerhalb von eineinhalb Jahren.

WIE WIRKT SICH EIN ANSTIEG DER GASPREISE AUF DEN STROMPREIS AUS?

Das jeweils teuerste Kraftwerk bestimmt mit seinen laufenden Kosten gemäß dem geltenden Prinzip der „Merit-Order“ den Strompreis für alle. Strom aus Wasser, Wind oder Sonne drückt diesen Preis nach unten, hier gibt es keine Brennstoffkosten. Konkret bedeutet das: Wenn das letzte Kraftwerk, das zur Bedienung des Strombedarfes benötigt wird, ein Gaskraftwerk ist, dann bestimmen seine Grenzkosten den Strompreis für den gesamten Markt. Steht aber beispielsweise genügend Windkraft zur Verfügung, deren Kosten sehr viel geringer sind, ist dementsprechend auch der Strompreis niedriger. Gerade im Winter wirken Gaskraftwerke in Österreich – aber vor allem auch in dem eng verknüpften deutschen Markt – daher oft preissetzend.

EINFLUSS DER CO2-PREISE AUF DIE STROMERZEUGUNGSKOSTEN GERING, GASPREISE WIEGEN VIEL SCHWERER

Die hohen Strompreise im Großhandel haben ihre Wurzel im hohen Preis für Erdgas. Die Steigerung der CO2-Preise hat nur einen kleinen Anteil an den höheren Stromerzeugungskosten eines Gaskraftwerks.

Während im ersten Halbjahr 2021 der Anteil der Gaskosten an den Erzeugungskosten bei durchschnittlich 70 % gelegen ist, waren es zwischen Jänner und Mitte März 2022 im Mittel bereits 84 %.Mit Beginn des Angriffskriegs in der Ukraine hat sich dieses Verhältnis noch verstärkt: Der CO2-Preis im europäischen Emissionshandel ist um 20 % gesunken (Mitte März gegenüber Mitte Februar), der Gaspreis extrem gestiegen.

 STROM IN ÖSTERREICH TEURER ALS IN DEUTSCHLAND

Österreich hat in den vergangenen 20 Jahren stark von der deutschen Energiewende und auch der Liberalisierung des Strommarktes profitiert. Die heimische Industrie und das Gewerbe haben sich dank EU-weiter Öffnung des Markts rund 10 % an Stromkosten erspart. Vor allem die strompreisdämpfenden Effekte des starken Ausbaus von Windkraft und Photovoltaik in Deutschland führten im Zeitraum zwischen 2000 und 2020 zu einer gesamten Einsparung von 26 %.

Wie Studien der Österreichischen Energieagentur zeigen, hat sich die Situation in den vergangenen Jahren jedoch stark verändert. Heute ist der Strompreis in Österreich – besonders im Winter – sehr oft deutlich höher als im Nachbarland Deutschland. Grund dafür ist, dass im Winter in Österreich oft die – wie oben beschrieben – deutlich teureren Gaskraftwerke zum Einsatz kommen, in Deutschland hingegen Windkraft, die hierzulande noch nicht in diesem Ausmaß ausgebaut ist. Bis Oktober 2018 hatten Österreich und Deutschland die gleichen Strompreise im Großhandel. Die gemeinsame Strompreiszone wurde dann getrennt, seitdem treten Preisunterschiede zwischen den beiden Märkten auf. Seit Herbst 2021 werden diese „Spreads“ deutlich größer. Zum Jahresbeginn 2022 (Mittelwert 1. Jänner bis 15. März) zahlte man in Österreich im Großhandel (Spotmarkt, Day Head) 212 Euro pro MWh, in Deutschland 179 pro MWh und damit um 16 % weniger. Im Februar 2022 war in Deutschland der Preis sogar um 23 % niedriger (Deutschland 129 Euro pro MWh, Österreich 168 Euro pro MWh). Diese Preisdifferenzen stellen eine erhebliche Belastung für die österreichische Wirtschaft dar. Die Österreichische Energieagentur hat beispielsweise alleine für November 2021 Mehrkosten gegenüber Deutschland von rund 160 Mio. Euro geschätzt.

ACHTUNG “FOSSILFLATION“

Der Anstieg der Erdgaspreise hat seinen Ursprung aber nicht in klimapolitischen Maßnahmen, sondern ist auf angebotslimitierende und geopolitische sowie nicht zuletzt kriegerische Handlungen Russlands zurückzuführen. Ähnliche Preisentwicklungen waren auch bei anderen fossilen Energieträgern wie Heizöl, Benzin und Diesel zu beobachten.

Die Steigerungen der Energiepreise waren 2021 die wichtigsten Treiber der Inflation. Der Jahresmittelwert des Verbraucherpreisindexes verzeichnete von 2020 auf 2021 ein Plus von 2,8 %. 0,8 Prozentpunkte davon sind allein auf den Preisanstieg von Diesel, Benzin, Heizöl und Erdgas zurückzuführen. Ein noch eindrucksvolleres Beispiel bietet der Monatsvergleich April 2021 zu April 2022, denn hier ist dieser Effekt noch deutlicher zu beobachten. Die allgemeine Teuerungsrate im April lag im Jahresvergleich bei 7,2 %. Ohne die starken Entwicklungen bei den Energiepreisen wäre die Inflation im Monatsvergleich bei 4,5 % gelegen.

Der manchmal genutzte Begriff der „Greenflation“, der versucht, die aktuell starke Inflation als Resultat der Klimapolitik anzudeuten, ist also grundfalsch. Was wir derzeit beobachten, muss „Fossilflation“ genannt werden. Ein Blick auf die aktuellen Preissteigerungen der Energieträger im Vergleich zum Vorjahr macht das sehr deutlich.

Und was kann ein Ausweg daraus sein und zu mittelfristig wieder niedrigeren Energiepreisen führen? Der massive Ausbau erneuerbarer Energie – oben beschrieben am Beispiel der Windkraft – und der Netze. Die gute Nachricht dazu: Potenziale sind in Österreich vorhanden.