Mineralölwirtschaft gibt nicht auf

Steigende Treibhausgasemissionen Weiter Fast 50% Förderung …

Neuer Anker: Synthesekraftstoff aus Ökostrom

23.07.2020
(v.li.) Jürgen Rechberger und Prof. Helmut List (beide AVL List GmbH),  Magnus Brunner (Klimaschutzministerium) und Jürgen Roth (IWO) stellten ihre Pläne für eine neue Power-to-Liquid-Anlage vor. 

(PL) – Mit einem Pilotprojekt will die Mineralölwirtschaft den Austausch von Ölheizungen sowie den Umbau von Dieselfahrzeugen, Flugzeugen oder Schiffen überflüssig machen. Zu diesem Zweck geht das Institut für Wärme und Öltechnik (IWO), die Interessensvertretung der Mineralölwirtschaft am Raumwärmemarkt, eine Kooperation mit der weltweit agierenden, auf Antriebssysteme spezialisierten AVL List Gmbh ein. Gemeinsam will man Europas innovativste Power-to-Liquid-Anlage (PtL-Anlage) errichten, die aus Strom produzierten Wasserstoff in Verbindung mit Kohlendioxid in klimafreundliche, synthetische Brenn- und Kraftstoffe umwandelt.

Technische Innovation soll teuren Umbau ersparen 

Den großen Vorteil des Projektes sieht Ideengeber und Treiber Jürgen Roth, Vorsitzender des IWO sowie Öl-Händler und WKO-Vizepräsident, darin, dass eine kostspielige Umrüstung bestehender Infrastruktur hinfällig wird. „Dieselfahrzeuge, Flugzeuge und Ölheizungen können einfach weiter betrieben werden. Fuhrpark, Infrastruktur und Tankstellen müssen nicht verändert werden“, sagt Roth, der auch Eigentümer der steirischen Tank Roth GmbH ist.

Im Vorjahr hat die Mineralölwirtschaft noch mehr als 1 Million Liter Heizöl in Österreich verkauft, etwa 700.000 Ölheizungen sind in Österreich in Betrieb. Die Mineralölwirtschaft möchte den Raumwärmemarkt nicht aufgeben, auch wenn das Regierungsprogramm einen klaren Phase-out-Plan für Ölheizungen proklamiert. Nicht nur, dass der Einbau einer Ölheizung im Neubau bereits seit Jahresbeginn ab 2021 beim Heizungswechsel verboten ist, ab 2025 soll der Austausch von Ölkesseln älter 25 Jahre verpflichtend sein. Der Austausch aller Heizölkessel soll dann laut Plan der Bundesregierung bis 2035 abgeschlossen sein. 

„Bis 2025 liegt noch eine Wahl dazwischen“, wiegelt Roth ab. Außerdem beziehe sich die Heizölverbote auf den fossilen Brennstoff und nicht auf die Heizung, interpretiert er die Gesetzgebung. „Die 700.000 Ölheizungen befinden sich überwiegend in nicht sanierten Häusern, dort funktionieren Wärmepumpen nicht effizient“, erläutert Roth. Als Alternative kämen somit nur Holz- oder Pelletsheizungen infrage. „Sozial schwachen Haushalten sollten die Kosten für einen Heizungstausch erspart werden“, argumentiert Roth weiter. „Anstatt Verboten soll der Konsument selber entscheiden, welches Heizungssystem er will.“

Literpreis von 1 bis 1,5 €

Den Preis für einen Liter des neuen Brenn- und Treibstoffes soll sich auf 1 bis 1,5 € belaufen. Voraussetzung ist allerdings ein Strompreis von höchsten 5 Cent/kWh und eine hohe Anzahl von Betriebsstunden der Anlage. „Mit der von uns geplanten Anlage wird der Wirkungsgrad für die Erzeugung des synthetischen Brenn- und Kraftstoffes signifikant verbessert und der Stromeinsatz gesenkt. Auf diesem Weg kann erneuerbare Energie kostengünstig und effizient speicherbar gemacht werden“, erklärt Prof. Helmut List, CEO der AVL List GmbH. Den Vorteil, dass man Überschussstrom aus Windkraft- oder Photovoltaik im Sommer mittels der Verflüssigung auch für den Winter speichern könne, hob er besonders hervor. Durch die heimische Produktion der Synthesekraftstoffe könnten zudem die milliardenschweren Rohölimporte verringert werden.  

Gesamtwirkungsgrad von 55 %

Das Verfahren funktioniert wie folgt: „Wir verwenden grünen Strom aus Windkraft oder Photovoltaik und produzieren über eine Hochtemperatur-Elektrolyse Wasserstoff. Zu dem Wasserstoff wird aus Biomasse- oder Biogasanlagen abgeschiedenes grünes CO2 hinzugefügt und in einer Fischer-Tropsch-Anlage chemisch zu einem Kraftstoff verflüssigt“, schildert Jürgen Rechberger, AVI List GmbH. Den Gesamtwirkungsgrad des neuen PtL-Verfahrens bezifferte er mit 55 %, anstelle von sonst üblichen 40 %. „Dies liegt vor allem an der neuartigen Elektrolysetechnologie, die mit einem Wirkungsgrad von 80 % eine sehr effiziente Wasserstoffnutzung erlaubt“, beschreibt Rechberger. 

Vision von Wasserstoffimporten aus Afrika und dem Nahen Osten

2030 könnten bei Erreichung des Ziels von bilanziell 100 % Ökostrom alleine durch Ausnutzung von Stromüberschüssen 240 Millionen Liter synthetischer Kraftstoff erzeugt werden. Unter Einbeziehung des verbleibenden Potenzials von erneuerbaren Energieressourcen in Österreich könnten sogar 1,7 Milliarden Liter hergestellt werden. Dies würde nach Aussage der Projektpartner bei Weitem den Bedarf der Luftfahrt, den heutigen Heizölverbrauch oder etwa 20 % des heutigen Benzin- und Dieselverbrauchs abdecken. Für eine komplette Dekarbonisierung von Wärmesektor und Mobilität gibt es aber laut Rechberger in Europa nicht genügend erneuerbare Energien. „Unsere Vision ist es, in Afrika und im Mittlerer Osten große Mengen Wasserstoff zu produzieren und diese zu importieren.“

Produktion kann in zwei Jahren starten

Der Bau der ersten PtL-Anlage mit einer elektrischen Anschlussleistung von 1 MW Ökostrom ist soll bereits in zwei Jahren die Produktion von flüssigen, CO2-neutralen Energieträgern zu leistbaren Preisen ermöglichen. Roth bezifferte die Kosten für die Anlage auf „einen niedrigen zweistelligen Millionenbereich“. Ideal ist laut Rechberger künftig eine Anlagengröße von 50 bis 80 MW. Durch Bau der Anlagen in der Nähe von Biogas- oder Biomasseanlagen sei eine dezentrale Treibstofferzeugung möglich.

Dr. Magnus Brunner, Staatssekretär im Klimaschutzministerium, bestätigt dem Projekt  großes Potenzial: „Mein Zugang ist, dass unsere ambitionierten Klimaschutzziele durch Technologieoffenheit und Innovation am effektivsten erreicht werden können. Wir brauchen jede Kilowattstunde Ökostrom.“ Brunner betonte vor allem die Rolle von Wasserstoff als Speicher, für die energieintensive Industrie sowie für die Luft- und Schifffahrt. Die Zukunft der Elektromobilität sieht er im städtischen Bereich. 

Kritik von Umweltschutzorganisationen 

Vor beinahe zwei Jahren gab es bereits den Vorstoß der IWO, Ölheizungen durch die Verwendung von HVO (Hydrotreated Vegetable Oils: flüssiger Brennstoff aus Pflanzenöl und Altfetten) klimaneutral zu betreiben. Umweltschutzorganisationen hatten diese Initiative als billiges Marketing und KonsumentInnen-Täuschung kritisiert, weil die benötigten Pflanzenölmengen nicht in Österreich verfügbar wären und nur durch Palmölimporte realisierbar wären, für dessen Herstellung der Regenwald in Südostasien zerstört werde.