Kommentar Conrad Seidl (Ausgabe 117/2020)

04.12.2020

Ehrlich gesagt: Ich will ein halbwegs bequemes, genussreiches Leben führen. Und mir geht es dabei so, wie wohl den meisten Österreicherinnen und Österreichern: Seit Jahrzehnten ist mir Natur-, Umwelt- und Klimaschutz wichtig. Aber ich esse fast täglich Fleisch (auch wenn das manche Klimaaktivisten verteufeln). Ich lebe in einer weitläufigen Wohnung (immerhin beheizt mit Fernwärme). Ich fahre nur ausnahmsweise mit einem Mietauto (zu Zielen, die mit Öffis nicht oder nicht in sinnvoller Zeit erreichbar sind). Und ich beziehe Strom von einem Ökostrom-Anbieter. Ich freue mich an den Ankündigungen auf allen möglichen politischen Ebenen, dass man möglichst rasch Klimaneutralität erreichen will – aber sehr viel werde ich dazu durch meinen persönlichen Lebensstil nicht beitragen können oder wollen. Na klar: Es wäre noch besser, wenn die Fernwärme aus Biomasse käme, wenn das Mietauto emissionsärmer oder emissionsfrei wäre, Strom und Fleisch nachhaltig produziert würden (was meines Wissens weitgehend bereits der Fall ist) – aber jetzt ist die Politik dran. Die große Verkehrswende, die Überdachung aller Großparkplätze mit Solarpanelen, die Beheizung aller kalorischen Kraftwerke und Fernwärmeanlagen mit Biomasse, weitere Effizienzsteigerungen bei Raumwärme und Industrieproduktion – all das muss die Regierung vorantreiben und womöglich über Energieabgaben, deren Lenkungswirkung längst bekannt ist, finanzieren. Im Zuge der Aufarbeitung der Corona-bedingten Krise dürfte es dafür auch hohe Akzeptanz in der Bevölkerung geben.

Conrad Seidl