Ökosysteme: EU-Kommission will Schutzdirektiven ausgeben

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Bundesrat-EU-Ausschuss pocht auf Länderzuständigkeit

16.02.2023

(PA_Pressedienst der Parlamentsdirektion) – Die Bundesländer zeigen sich alarmiert über Pläne der EU-Kommission, den Mitgliedsländern verbindliche Vorgaben zur Wiederherstellung ihrer Ökosysteme zu machen. Die Kommission überschreite eindeutig ihre Kompetenzen, wenn sie etwa beabsichtigt, rechtsverbindliche Biodiversitätsziele festzusetzen , so der Ländertenor in einer gemeinsamen Stellungnahme, der im EU-Ausschuss des Bundesrats heute fraktionsübergreifend in der Diskussion mitgetragen wurde. Auch Landwirtschaftskammer (LKW) und Wirtschaftskammer (WKO) schlossen sich der Länderkritik an. Ein SPÖ-Antrag auf entsprechende Mitteilung an Brüssel fand allerdings keine Mehrheit im Ausschuss. Neben Bedenken bei der Verhältnismäßigkeit wurden darin auch die im Entwurf enthaltenen delegierten Rechtsakte, mit denen die Kommission direkt Regelungen vorgeben kann, als Kritikpunkte angeführt. Die Freiheitlichen machten mit einem Antrag gegen eine Klausel im Verordnungsentwurf mobil, der bestimmte Insektenarten als Nahrungsmittel für Menschen vorschlägt, sie blieben damit aber ebenfalls in der Minderheit. Einzig die Grünen betrachteten den Vorschlag europaweiter Aktionspläne zur Ökologisierung von Lebensräumen als eindeutig unterstützenswert, da umfassender Klimaschutz klare Zielvorgaben brauche.

Das Klimaministerium (BMK) setzt nach eigenen Angaben bei den Verhandlungen zur Verordnung auf die Einbindung der zuständigen nationalen Stellen, um größtmöglichen Konsens zu erreichen. Mithilfe der angedachten Verordnung wolle die Kommission die Natura 2000-Initiative mit konkreten Zielen und Fristen wirksamer umsetzen, erklärte eine BMK-Expertin im Ausschuss. Österreich erfülle die Vorgaben vielfach bereits mit seinem hohen Anteil an Biolandwirtschaft und zahlreichen städtischen Grünflächen, war sie einer Meinung mit Ausschussobmann Christian Buchmann (ÖVP/St), die heimischen Aktivitäten in diesem Bereich seien auf EU-Ebene noch besser zu kommunizieren.

EU-Kommission will Ökologisierung konkretisieren

Mit ihrem Gesetzgebungsvorschlag zur Wiederherstellung der Natur in Europa reagiert die Europäische Kommission auf die vom Klimarat dokumentierte rasant fortschreitende Schädigung der europäischen Ökosysteme, mit negativen Auswirkungen auf „Mensch, Wirtschaft und Klima“, wie die Kommission festhält. Der Renaturierung schreibt sie einen großen Stellenwert zu, um den Biodiversitätsverlust nicht nur aufzuhalten, sondern umzukehren. Bis 2030 sind laut Entwurf mindestens 20 % der Land- und Meeresgebiete der Union dementsprechend wiederherzustellen, bis 2050 alle Ökosysteme, die der Wiederherstellung bedürfen. Weiters ist ein Verschlechterungsverbot von Flächen vorgesehen, auf denen der „gute Zustand“ wiederhergestellt wurde. Laut Verordnungsentwurf soll jeder Mitgliedstaat zu Wiederherstellungszielen verpflichtet werden, beispielsweise beim Vorgehen gegen das Bestäubersterben und gegen die Austrocknung von Torfmooren. Gezielte Maßnahmen werden auch zur Begrünung von Städten, zur Waldbewirtschaftung und zur Ausweitung erneuerbarer Energien vorgeschlagen. Aufbauend auf bestehenden Rechtsvorschriften soll die Wiederherstellungsverordnung nicht nur den Rückgang der biologischen Vielfalt umkehren und die Widerstandsfähigkeit von Ökosystemen gegenüber dem Klimawandel stärken, sondern die umgesetzten Maßnahmen sollen auch die menschliche Gesundheit fördern und einen Beitrag zur Ernährungssicherheit leisten.

Eine Lanze für den Verordnungsentwurf brach im Ausschuss Marco Schreuder (Grüne/W): offenbar hätten die EU-Mitgliedstaaten „das Ausmaß der Klimakrise nicht verstanden“, daher müsse die Kommission nun konkrete Vorgaben machen. Ansonsten komme es zur Klimakatastrophe, die große Teile der Welt unbewohnbar mache. Ungeachtet dessen räumte Schreuder ein, fraglos brauche es bis zur Umsetzung der Maßnahmen noch zahlreiche Diskussionen.

Ausschuss vermisst Praxisnähe bei Kommissionsentwurf

Die SPÖ bekenne sich zum übergeordneten Ziel der ökologischen Wiederherstellung von Naturräumen in Europa, verdeutlichte Stefan Schennach (SPÖ/W) anhand der diesbezüglichen Mitteilung seiner Fraktion. Der Verordnungsvorschlag der Kommission sei aber vielfach unklar und kritikwürdig. Beispielweise verunmöglichten die Bestimmungen städtisches Wachstum bzw. würden Städte mit einem hohen bestehenden Grünflächenanteil „bestraft“. Vorschreibungen für prozentuelle Zuwächse von Grünflächen oder Baumüberschirmung würden generell einen gravierenden Eingriff in die Raumordnung und Flächenwidmung darstellen – ohne auf lokale Gegebenheiten, vorhandene Daten, Eigentumsverhältnisse oder eigene städtische Zielsetzungen Rücksicht zu nehmen. Die Folge wäre nur eine weitere Zersiedelung der Ballungsräume. Mit Hinweis auf gleichartige Bedenken von Ländern, Städten und Gemeinden sowie von mehreren Redner:innen im Ausschuss drückte Schennach sein Bedauern darüber aus, für die SPÖ-Mitteilung nicht ausreichend Zustimmungsabsichten erhalten zu haben.

Johannes Hübner (FPÖ/W) meinte zwar, er stimme dem SPÖ-Vorstoß „vielfach“ zu, mittragen würden die Freiheitlichen das Schreiben aber dennoch nicht, weil darin von einer „grundsätzlichen Übereinstimmung“ mit den Kommissionszielen zu lesen sei. Dabei verstoße der Verordnungsentwurf gegen österreichische Verfassungsgrundsätze, indem Regelungen – etwa hinsichtlich Flächenplanung – „bis zur kleinsten Ebene hin“ angedacht seien. Gleichermaßen argumentierte auch Ferdinand Tiefnig (ÖVP/OÖ) gegen das Kommissionsvorhaben, bei dessen Umsetzung er überdies wie Hübner und Michael Bernard (FPÖ/N) Einschränkungen bei der Ernährungssicherheit vorhersagte.

Die Folgewirkungen einer derartigen Verordnung für die Bevölkerung seien „nicht abschätzbar“, sagte dementsprechend eine Vertreterin der Landwirtschaftskammer im Ausschuss. Pflanzenschutzverbote würden zum Beispiel zu Import- und Verbraucherpreissteigerungen führen. Äußerst kritisch sehen sowohl Landwirtschafts- als auch Wirtschaftskammer zudem die Überlegungen zur Flächenplanung und Raumordnung. Ein WKO-Experte warnte im Ausschuss vor Standortnachteilen für Österreich, wenn die Zulässigkeit wirtschaftlicher Tätigkeiten in einem schützenswerten Gebiet von in der Verordnung unklar definierten Kriterien abhängt. Hier fehle es an Rechtssicherheit.

Renaturierungspläne der Kommission aus Ländersicht überschießend

In einer gemeinsamen Stellungnahmen zu dem Verordnungsentwurf halten die österreichischen Bundesländer ebenfalls fest, aus Sicht des Umwelt- und Klimaschutzes seien alle Aktivitäten zur Erhaltung und Verbesserung der Biodiversität und zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit der Natur grundsätzlich positiv zu bewerten. Dennoch lehnen die Länder den Vorschlag in der aktuellen Form ab, da die EU jedenfalls keine Zuständigkeit zur Regelung des Waldmanagements und  der stätischen Raumplanung habe. Überdies seien die Zeiträume der Maßnahmenpläne bei der Land- und Forstwirtschaft zu kurz gefasst, warnen die Länder vor einem Schaden für die Versorgungssicherheit. So will die Kommission bis 2030 umweltschädlich wirkende Subventionen abgeschafft sehen. Aus Sicht von Martin Preineder (ÖVP/N) geht die Kommission mit ihren Vorschlägen „vorwärts in die Vergangenheit“. Schon im Sinne der Versorgungssicherheit könne eine damit einhergehende Rückentwicklung der Gesellschaft nicht gutgeheißen werden. Außerdem gehe aus dem Entwurf nicht hervor, wer für die Bewirtschaftung von neuen unter Schutz gestellten Gebieten sorgen solle. Er verbat sich, Bäuerinnen und Bauern dafür heranzuziehen, da diese ihre Arbeit schon jetzt für ein vergleichsweise geringes Einkommen erbrächten, wie ihm Isabella Kaltenegger (ÖVP/St) bestätigte.

„Außernutzungsstellung“ von landwirtschaftlichen Flächen laut Klimaressort nicht vorgesehen

Für das Klimaministerium (BMK) erklärte eine Expertin dem Ausschuss, man verstehe die Bedenken bei einzelnen Maßnahmen, wenn auch die allgemeine Zielsetzung der Verordnung begrüßt werde. Die anvisierte Verordnung ziele nicht auf die Stilllegung landwirtschaftlicher Flächen ab, vielmehr werde Biolandwirtschaft als Wiederherstellungmaßnahme angeführt. Grundsätzlich seien die für Naturschutz, Land- und Forstwirtschaft sowie Wasserwirtschaft zuständigen Stellen in die Diskussionen über den Kommissionsvorschlag einzubinden, weswegen das BMK einen „Stakeholderdialog“ darüber eröffnet habe. Die Bundesländer seien mit ihren Einwänden in den Ratsverhandlungen „stark vertreten“, wies sie Vorhaltungen, unter anderem von Hübner (FPÖ/W), aber auch von Landwirtschaftskammer und Wirtschaftskammer, zurück, Österreichs Interessen auf EU-Ebene nicht ausreichend zu vertreten.

Klare Ablehnung zeigte die FPÖ auch gegen die Klassifizierung von Insekten als neuartige Lebensmittel, wie sie Hübner (FPÖ/W) zufolge in einem Durchführungsrechtsakt zur angepeilten Verordnung aufscheint. Konkret wolle die Kommission die Beimengung von „Grillen oder Getreideschimmelkäfern“ in Backwaren und Aufstrichen ermöglichen, hält er in seinem Antrag auf Stellungnahme dagegen erbost fest. Der Antrag wurde von der Ausschussmehrheit nicht angenommen, obwohl die Bemerkung von Schreuder (Grüne/W), strenge Kennzeichnungspflichten würden damit einhergehen, von Andreas Arthur Spanring (FPÖ/St) als realitätsfern abgetan wurde.