Unabhängigkeit von russischem Gas vor 2030?

08.03.2022

(PA_EU_Kommission) – Angesichts der russischen Invasion der Ukraine hat die Europäische Kommission heute den Entwurf eines Plans vorgestellt, mit dem Europa deutlich vor 2030 von fossilen Brennstoffen aus Russland, zunächst von Gas, unabhängig gemacht werden soll.

Dieser Plan enthält auch eine Reihe von Maßnahmen als Reaktion auf die steigenden Energiepreise in Europa und zur Wiederauffüllung der Gasvorräte für den nächsten Winter. Europa ist zwar schon seit mehreren Monaten mit einem Anstieg der Energiepreise konfrontiert, das Problem wird jetzt aber durch die unsichere Versorgung verschärft. Durch REPowerEU sollen die Gasversorgung diversifiziert und die Einführung von Gas aus erneuerbaren Quellen für Heizung und Stromerzeugung beschleunigt werden. Dadurch kann die Nachfrage der EU nach russischem Gas vor Ende des Jahres um zwei Drittel verringert werden.

Dringlichkeitsmaßnahmen zu Energiepreisen und Gasspeicherung

Die „Energiepreis-Toolbox“ der Kommission vom Oktober hat den Mitgliedstaaten dabei geholfen, die Auswirkungen hoher Preise auf schutzbedürftige Verbraucherinnen und Verbraucher abzufedern, und bildet weiterhin einen wichtigen Rahmen für nationale Maßnahmen. Die Kommission präsentiert den Mitgliedstaaten zusätzliche Leitlinien, durch die bestätigt wird, dass Preisregulierungen in Ausnahmefällen möglich sind. Zudem wird darin dargelegt, wie die Mitgliedstaaten Einnahmen aus den hohen Gewinnen des Energiesektors und aus dem Emissionshandel an die Verbraucher umverteilen können. Die EU-Vorschriften über staatliche Beihilfenbieten den Mitgliedstaaten ebenfalls Möglichkeiten, von hohen Energiepreisen betroffene Unternehmen kurzfristig zu unterstützenund ihnen zu helfen, ihre Anfälligkeit gegenüber Schwankungen der Energiepreise mittel- bis langfristig zu verringern. Im Anschluss an eine Konsultation über zielgerichtete Änderungen der Leitlinien für staatliche Beihilfen im Zusammenhang mit dem Emissionshandelssystem wird die Kommission mit den Mitgliedstaaten auch über die Notwendigkeit und den Umfang eines neuen vorübergehenden Beihilferahmens zur Bewältigung der Krise beraten. Durch diesen Rahmen sollen Unternehmen, insbesondere solchen, die mit hohen Energiekosten zu kämpfen haben, Hilfen gewährt werden.

Gasspeicher sollen bis Oktober zu 90% gefüllt sein

Bis April will die Kommission einen Gesetzgebungsvorschlag vorlegen, nach dem die unterirdischen Gasspeicher in der gesamten EU bis zum 1. Oktober eines Jahres zu mindestens 90 % ihres Fassungsvermögens gefüllt sein müssen. Der Vorschlag würde die Überwachung und Durchsetzung der Füllstände nach sich ziehen und die Möglichkeit von Solidaritätsvereinbarungen zwischen Mitgliedstaaten vorsehen. Die Kommission setzt ihre Untersuchung des Gasmarktes fort, da die Befürchtung besteht, dass einige Akteure, insbesondere Gazprom, die Wettbewerbsbedingungen verfälschen.

Um der Explosion der Energiepreise entgegenzuwirken, wird die Kommission alle möglichen Optionen für Notfallmaßnahmen prüfen, mit denen sich das Durchschlagen der Gaspreise auf die Strompreise begrenzen lässt, etwa befristete Preisobergrenzen. Sie wird auch Optionen zur Optimierung der Gestaltung des Strommarkts bewerten und dabei den Abschlussbericht der Agentur der EU für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) und andere Beiträge zu Vor- und Nachteilen alternativer Preisbildungsmechanismen berücksichtigen, damit Strom erschwinglich bleibt, ohne die Versorgung und weitere Investitionen in den grünen Wandel zu beeinträchtigen.

Unabhängigkeit von russischem Gas vor 2030

Unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen aus Russland kann deutlich vor 2030 schrittweise beendet werden. Hierfür schlägt die Kommission vor, den Plan „RePowerEU“ zur Erhöhung der Widerstandsfähigkeit des EU-weiten Energiesystems zu entwickeln. Dieser Plan beruht auf zwei Säulen: Diversifizierung der Gasversorgung durch höhere Einfuhren von Erdgas von nichtrussischen Lieferanten in flüssiger Form (LNG) oder über Pipelines und Steigerung der Produktion und der Einfuhren von Biomethan und Wasserstoff aus erneuerbaren Quellen sowie schnellere Verringerung der Nutzung fossiler Brennstoffe in Wohn- und Geschäftsgebäuden, in der Industrie und im Energiesystem durch eine Steigerung der Energieeffizienz, den Ausbau der erneuerbaren Energien und der Elektrifizierung sowie die Beseitigung von Infrastrukturengpässen.

Durch eine vollständige Umsetzung der Vorschläge der Kommission im Rahmen des Pakets „Fit für 55“ würde unser jährlicher Verbrauch an fossilem Gas bis 2030 bereits um 30 % oder 100 Mrd. Kubikmeter reduziert. Mit den Maßnahmen im Rahmen des Plans „REPowerEU“ könnten wir schrittweise mindestens 155 Mrd. Kubikmeter fossiles Gas einsparen; dies entspricht der Menge, die 2021 aus Russland eingeführt wurde. Nahezu zwei Drittel dieser Verringerung könnten binnen eines Jahres erreicht werden, womit die übermäßige Abhängigkeit der EU von einem einzelnen Lieferanten beendet wäre. Die Kommission schlägt vor, in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten die zur Verwirklichung dieser Ziele geeignetsten Projekte zu ermitteln und dabei auf den umfangreichen Arbeiten aufzubauen, die bereits im Zusammenhang mit den nationalen Aufbau- und Resilienzplänen geleistet wurden.

Hintergrundinfo

Wie sehr ist die EU auf Energieeinfuhren aus Russland angewiesen? 

Die EU ist zur Deckung ihres Energiebedarfs auf Einfuhren fossiler Brennstoffe (Gas, Öl und Kohle) angewiesen, die in den letzten fünf Jahren 57 % bis 60 % des Bruttoenergieverbrauchs ausmachten. Obwohl die innereuropäische Erzeugung von Energie aus erneuerbaren Quellen in den letzten Jahren erheblich zugenommen hat, hat die rückläufige Förderung von Stein- und Braunkohle sowie Gas in der EU dazu geführt, dass Europa weiterhin von Gas- (90 % des Verbrauchs), Öl- (97 %) und Steinkohle-Importen (70 %) abhängig ist.

Im Gassektor stammten im Jahr 2021 rund 45 % der Gesamtimporte in die EU aus Russland. In den letzten Jahren lag dieser Wert im Durchschnitt bei rund 40 %. Weitere wichtige Gaslieferanten für die EU waren Norwegen (23 %), Algerien (12 %), die Vereinigten Staaten (6 %) und Katar (5 %).

Auch bei Rohöl war Russland der Hauptlieferant für die EU (27 %), gefolgt von Norwegen (8 %), Kasachstan (8 %) und den USA (8 %). Obwohl die Einfuhr von Steinkohle in den letzten Jahren zurückgegangen ist, bleibt Russland auch hier der wichtigste Lieferant (46 %); weit dahinter folgen die USA (15 %) und Australien (13 %).

Was schlägt die Kommission vor, um die Abhängigkeit der EU von russischem Gas zu beenden? 

Die Gasversorgung über Fernleitungen oder durch Flüssigerdgas soll diversifiziert werden – mit Importen aus USA, Norwegen, Katar, Aserbaidschan, Algerien, Ägypten, Korea, Japan, Nigeria, die Türkei und Israel. Infolge dieser Bemühungen konnten im Januar und Februar Rekordmengen an Flüssigerdgas eingeführt werden. Die EU hat das Potenzial, jährlich weitere 50 Mrd. m³ Flüssigerdgas einzuführen.

Um die Erzeugung von Biomethan in der EU zu fördern, würde im Rahmen des REPowerEU-Plans eine Biomethanproduktion von 35 Mrd. m³ bis 2030 – d. h. eine Verdoppelung gegenüber der derzeitigen Ambition der EU – angestrebt, wobei nachhaltige Quellen von Biomasse wie landwirtschaftliche Abfälle und Reststoffe zu verwenden wären.

Ferner würde im Rahmen von REPowerEU ein „Wasserstoff-Accelerator“ mit integrierten Infrastrukturen, Speicheranlagen und Hafenkapazitäten geschaffen. Die Kommission schätzt, dass zusätzliche 15 Mio. t erneuerbarer Wasserstoff (davon 10 Mio. t, die aus verschiedenen Quellen eingeführt würden, sowie 5 Mio. t, die über die bereits geplanten 5 Mio. t hinaus in Europa erzeugt würden) bis 2030 jährlich 25–50 Mrd. m³ aus Russland eingeführtes Gas ersetzen könnten.

Wie kann die Energiewende beschleunigt werden  

Bei einer vollständigen Umsetzung der „Fit für 55“-Vorschläge der Kommission würde unser Gasverbrauch bis 2030 bereits um 30 % (d. h. 100 Mrd. m³) sinken. Die Energiesystemmaßnahmen im Rahmen von REPowerEU würden zusätzliche Einsparungen von über 25 Mrd. m³ jährlich erbringen.

Im Bereich Solarenergie könnte die EU nach Schätzungen der Kommission mit einem beschleunigten Ausbau von Dach-Fotovoltaikanlagen um bis zu 15 TWh in diesem Jahr zusätzliche 2,5 Mrd. m³ Gas einsparen. Die Kommission wird im Juni eigens eine Mitteilung zur Solarenergie vorlegen – mit dem Ziel, deren Potenzial zu erschließen. Darüber hinaus wird in der Mitteilung der Einbau von 10 Mio. Wärmepumpen in den nächsten fünf Jahren vorgeschlagen.