Umweltausschuss geht in Expertenhearings

17.12.2020

(PA_Parlamentsdirektion) – Mit dem zweiten Teil des ersten Experten-Hearings zum Klimavolksbegehren (348 d.B.) schloss der Umweltausschuss des Nationalrats in seiner Sitzung die heutigen Beratungen über die Initiative ab, die von 380.590 ÖsterreicherInnen unterzeichnet wurde. Nachdem zuvor der Forderungskomplex „Grundrecht auf Klimaschutz in die Verfassung“ behandelt worden war (siehe Parlamentskorrespondenz Nr. 1441/2020), stand schließlich das Thema „Stopp klimaschädlicher Treibhausgase“ zur Debatte. Die Beratungen über das Volksbegehren wurden schließlich einstimmig vertagt. Ausschussobmann Lukas Hammer betonte, dass dadurch eine weitere Befassung des Umweltausschuss mit dem Volksbegehren stattfinden kann. Das nächste Experten-Hearing findet am 13. Jänner 2021 statt.

Kocher: Verbindung von Klimazielen und wirtschaftlichen Chancen

Martin Kocher von der Universität Wien unterstrich, dass es im Klimaschutz eine klare wissenschaftliche Fakten- und Evidenzlage gebe. Es müsse daher gelten, dieser mit Maßnahmen zu begegnen. Dies stelle Österreich vor große Herausforderungen. Es müsse gelingen, die verschärften EU-Ziele bis 2030 ohne den Verlust an wirtschaftlicher Kraft zu erleiden. Zwar werde es Unternehmen geben, die durch die Umsetzung der Ziele höhere Kosten zu tragen hätten, aber auch jene, die dadurch höhere Einnahmen erzielen könnten. Im Fokus sollte daher die Verbindung der Klimaziele mit wirtschaftlichen Chancen stehen, wofür es neben den Zielen auch Maßnahmen und Prozesse brauche. Ähnlich sah dies auch Carmen Jeitler-Cincelli (ÖVP), die in diesem Zusammenhang betonte, dass es vor allem in der derzeit wirtschaftlich angespannten Situation Reglements und klare Bestimmungen für die ökosoziale Wende brauche.

Es gelte, sämtliche zur Verfügung stehenden Maßnahmen auszuschöpfen. Diese seien für Kocher vielfältig und würden etwa von der CO2-Bepreisung, über die Förderung von Infrastrukturen und technologischem Fortschritt, bis hin zu gesetzlichen Maßnahmen reichen. Bei der CO2-Bepreisung könnte ein Preispfad erstellt werden, um Planungssicherheit sowie die Transparenz und Offenheit gegenüber Unternehmen und BürgerInnen zu gewähren. Von Lukas Hammer (Grüne) auf Lenkungsmöglichkeiten angesprochen, unterstrich Kocher, dass man diese nicht ohne eine Bepreisung erreichen könne. Die Auswirkungen der CO2-Preise für einkommensschwache Haushalte, die angesichts ihres ökologisch kleinen Fußabdrucks mit verhältnismäßig hohen Kosten konfrontiert seien, könnte mit Rückzahlungen abgefedert werden, schlug Kocher auf eine entsprechende Frage von Julia Herr (SPÖ) vor. Im Hinblick auf die Planungssicherheit sei es auch wichtig, abseits der Ziele bis 2030 und 2040, Zwischenziele festzulegen. Die Politik sieht Kocher auch darin gefordert, sich auf internationaler Ebene für die Einhaltung der Ziele anderer Länder einzusetzen. Eine Alternative zum raschen Handeln gibt es seiner Ansicht nach nicht, da Österreich Berechnungen zufolge bei Fortführung der bestehenden Maßnahmen mit erheblichen Mehrkosten im Zertifikatehandel zu rechnen habe, wobei die zusätzlichen Kosten durch die Folgen des Klimawandels noch nicht eingerechnet seien.

Zu einem Klimarechnungshof sagte Kocher, dass dieser – wie auch der Rechnungshof – die Rechtmäßigkeit des staatlichen Handelns als unabhängige Institution prüfen müsse, ob man sich in der richtigen Richtung bewege. Darüber hinausgehende Sanktionsmöglichkeiten könne eine solche Institution nicht haben. Kocher kann sich auch eine unabhängige Institution nach Vorbild des Fiskalrats für den Klimaschutz vorstellen, in dem InteressensvertreterInnen, Wirtschaft und Betroffene vertreten sein könnten.

Stagl: Emissionen, BIP und Ressourcenverbrauch voneinander entkoppeln

Sigrid Stagl von der Wirtschaftsuniversität Wien unterstrich, dass es beim Kampf gegen den Klimawandel nicht nur um ethische Verpflichtungen und um den Erhalt der Lebensbedingungen gehe, sondern dieser auch mit dem wirtschaftlichen Erfolg zusammenhängt. Es brauche daher eine volkswirtschaftliche Herangehensweise, die die Kosten des Strukturwandels und des Nichthandelns berücksichtigt. Weiters müssten Treibhausgasemissionen, BIP und Ressourcenverbrauch voneinander entkoppelt werden, wenn die Klimaziele nicht mit dem BIP in Einklang gebracht werden können. Der OECD-Entkopplungsfaktor zeige auf, dass sich die Entkoppelung in Folge der Finanzkrise verlangsamt habe, was auf eine Schwächung der Klimapolitik zugunsten einer wachstumsfördernden Politik nach 2008 zurückgeführt werden könnte. Eine Deindustrialisierungsstrategie im Zusammenhang mit dem technologischen Wandel, über die sich Gerhard Deimek (FPÖ) erkundigte, sei nicht zielführend. Beispiele hätten gezeigt, dass eine solche Strategie wirtschaftlich nicht erfolgreich sei.

Stagl sprach sich auch für eine Erhöhung der Planungssicherheit durch das Setzen von Zwischenzielen aber auch bei der Bepreisung von Klimagasen aus. Hier könne Schweden als Vorbild dienen, die Preise auf EU-Ebene würden derzeit kaum Lenkungswirkung entfalten. Sie geht von einem notwendigen Einstiegspreis von 50 bis 160 Euro pro Tonne CO2 und einer Steigerung auf 130 bis 400 Euro bis 2030 aus. Die Schwankungsbreite zwischen den Preisen erklärte sie in Richtung von Jakob Schwarz (Grüne) damit, dass die Höhe von den getroffenen Maßnahmen abhinge. Die Auswirkungen der CO2-Preise für einkommensschwache Haushalte hänge ebenfalls davon ab, welche und vor allem wie viele Maßnahmen tatsächlich umgesetzt würden, antwortete Stagl auf eine entsprechende Frage von Julia Herr (SPÖ).

Wertz: Import klimaschädlicher Energie reduzieren

Zur Erreichung des zentralen Ziels der Klimaneutralität 2040 sei es wichtig, auf fossile und Atomenergie zu verzichten, unterstrich Dietrich Wertz. Damit könnte auch der Import klimaschädlicher Energie reduziert und die Außenhandelsbilanz Österreichs verbessert werden. Es sei auch wissenschaftlich deutlich geworden, dass die Umsetzung von 100 % erneuerbarer Energie nicht nur technisch umsetzbar ist, sondern bezahlbar und ökologisch sinnvoll sei. Darüber hinausgehend brauche es seiner Ansicht nach eine ökologische Steuerreform und eine Abschaffung klimaschädlicher Subventionen. Was die Überlegungen über neue Institutionen anbelangt, wie etwa dem Vorschlag eines Klimarechnungshofs, zeigte er sich skeptisch. Vielmehr müsse die Umstrukturierung oder Fusion bestehender Institutionen geprüft werden. Auch gebe es bereits eine Vielzahl von Reporting-Systemen über die Entwicklung des Klimas und bei der Erstellung neuer Berichtssysteme müsse darauf geachtet werden, den bürokratischen Aufwand nicht zu erhöhen. Die Bürokratie müsse aber auch bei verschiedenen Fördersystemen – wie etwa bei der Förderung von Photovoltaik-Anlagen – reduziert werden. Wertz setzt im Klimaschutz auf die Stärkung der direkten Demokratie. Über die Forderung des Volksbegehrens hinausgehend, schlägt er vor, BürgerInnen nicht nur in der Konzeptionsphase von Maßnahmen miteinzubeziehen, sondern auch über die Maßnahmen abstimmen zu lassen.

In Richtung Peter Schmiedlechner (FPÖ), der die Bedeutung der Einbindung von LandwirtInnen zur Debatte brachte, sagte Wertz, dass sich die Landwirtschaft positiv im Klimaschutz entwickle. Vor allem die Funktion des „Energiewirts“ müsse im Zusammenhang mit Biomasse und Bauholz mitbedacht werden. Für Sigrid Stagl spielt die Landwirtschaft ebenfalls eine wichtige Rolle. Hier würde es viele klimarelevante Innovationen vor allem bei planetenschonender Ernährung geben. Was die von Schnabel angesprochene CO2-Speicherung in Humusböden betrifft, hob Gottfried Kirchengast die Bedeutung der Landwirtschaft hervor. Hier komme es zu einem langsamen Aufbau der Speicherung, da diese langfristig sichergestellt werden soll.

Kirchengast: Österreich hat noch ein CO2-Budget von maximal 700 Mio. Tonnen

Gottfried Kirchengast von der Universität Graz hob hervor, dass die Klimakrise auch die demokratische Gesellschaft bedrohe und daher bekämpft werden müsse. Zur Erfüllung der Ziele des Pariser Klimaabkommens, die Erderwärmung auf zwei Grad Celsius bis Mitte des Jahrhunderts zu begrenzen, sei es wichtig, dass Treibhausgase aus der Atmosphäre verschwinden. Umgelegt für Österreich bedeute dies, dass Österreich ab 2021 ein gesamtes Treibhausgas-Budget von maximal 700 Mio. Tonnen CO2 zur Verfügung stehe. Aus dem Budget ergebe sich ein Reduktionspfad, der als Mindestzielpfad verstanden werden müsste und woraus jährliche Höchstmengen an CO2-Emissionen festlegen werden sollten. Die derzeitigen Bemühungen würden unter diesem Zielpfad liegen. Auch müssten die Emissionen unter den auf EU-Ebene festgelegten Zielen liegen, wonach die Emissionen bis 2030 um 55 % reduziert werden sollen. Es sei von einer linearen Abnahme des Budgets auszugehen, da Abnahmeraten von über 10 % unrealistisch seien, erklärte Kirchengast auf Nachfrage von Jakob Schwarz (Grüne).

Bei der Bekämpfung der Krise sei es Kirchengast zufolge wichtig, die Wissenschaft als Teil der Lösung zu verstehen und dass die politische Verantwortung für die Bestimmung eines THG-Budgets sowie eines Reduktionspfads übernommen wird, damit die freie, demokratische Gesellschaft weiterlebt. Aber es müsse auch jeder in seinen Handlungsbereichen einen Teil zur Lösung beitragen, wofür Kichengast das System des „Carbon Managements“ vorschlägt. Die „Carbon Manager“ könnten auf Gemeinde- und Unternehmensebene den CO2-Verbrauch verwalten, während auf Bundes-, Landes- und Sektorenebene eine Verteilung des THG-Budgets sinnvoll sei, betonte Kirchengast in Richtung von Julia Herr (SPÖ). Von Michael Bernhard (NEOS) auf Klimachecks angesprochen, sagte Kirchengast, dass es sich dabei um eine gute Maßnahme handle. Auch in Wien gebe es hierzu gute Ansätze, die allerdings derzeit noch evaluiert würden. Die Rolle des Umweltbundesamtes, über die sich Joachim Schnabel (ÖVP) erkundigte, sieht Kirchengast als wissenschaftliche Begleitung des Bundes in der Klimapolitik. Zwischen dem Umweltbundesamt und der Wissenschaft würden zudem bereits Gespräche laufen, um die Datenerhebung bei CO2-Emissionen zu beschleunigen, unterstrich er in Richtung von Yannick Shetty (NEOS).

Rogenhofer: Politik muss nun nachziehen und Menschen mitnehmen

Die Bevollmächtigte des Klimavolksbegehrens, Katharina Rogenhofer, schloss mit zusammenfassenden Worten die Debatte ab. Das Experten-Hearing habe gezeigt, dass es für Österreich ein begrenztes CO2-Budget von 700 Mio. Tonnen gebe, die Herstellung von Planungssicherheit zentral sei und es ein Maßnahmenprogramm brauche. Bei der Umsetzung dürfe nicht die Frage gelten, wie schnell man sein könne, sondern wie schnell man sein muss. Die Klimaneutralität sei eine große Herausforderung, der man sich aber jetzt stellen müsse. Dabei müsse man konzentriert vorgehen. Das Klimavolksbegehren zeige, dass viele Menschen hinter dem Klimaschutz stehen würden. Für die Politik gelte es nun, nachzuziehen und dabei die Menschen mitzunehmen. Man müsse von Versprechungen wegkommen und tatsächliche Maßnahmen umsetzen.