Kommentar aus der Printausgabe 127

18.04.2024

(Kommentar aus der Printausgabe 127) – Von der ökosozialen Idee zum Weltmodell, so lässt sich die Entwicklung der Ökosozialen Marktwirtschaft beschreiben. Mehr als 30 Jahre Ökosoziale Marktwirtschaft waren gewissermaßen eine Art Hochschaubahn. Am Anfang herrschte quasi Euphorie, zwischen 1988 und 1992 gab es viel Zustimmung und Rückenwind. Mit dem legendären Brundtland-Bericht war der Begriff der Nachhaltigkeit engstens verbunden. Die Europäische Demokratische Union beschloss 1991 die Ökosoziale Marktwirtschaft als gemeinsames Leitbild, die UNO-Weltkonferenz in Rio 1992 widmete sich daher dem Thema „Nachhaltigkeit und Entwicklung“. Ab 1995 wurde das Weltgeschehen vom profitgetriebenen Marktfundamentalismus diktiert. Ein Fusionsfieber treibt seither Abertausende Kleinunternehmen, die Ökosoziale Marktwirtschaft und das Erfolgsmodell der Sozialen Marktwirtschaft wurden als überholte Romantik abgetan. Das Motto von Milton Friedman lautete: „Die Soziale Marktwirtschaft von Managern ist die Profitmaximierung für die Aktionäre“.

Ungezügelte Finanzmärkte im Zeitalter von Internet und digitaler Revolution wurden zur hochbrisanten Zeitbombe. Der frühere deutsche Bundespräsident Horst Köhler konkretisierte dies 2007 mit der Aussage „Das Monster ist außer Kontrolle geraten“. Im September 2008 war es dann so weit: Ausgelöst durch die Lehman-Pleite stürzte das verbrecherische Kartenhaus von Spekulation und Betrug in sich zusammen. Ein drohender Zusammenbruch der Weltwirtschaft mit unabsehbaren Folgen für Ökonomie, soziale und politische Folgekosten war nur durch das rasche und verantwortungsvolle Handeln von Regierungen und Notenbanken verhindert worden. Unsummen von Steuermitteln wurden in die Liquidität der Finanzmärkte und für die Bankenrettung verwendet. Der horrible Schock im Jahr 2008 brachte bei den wichtigsten globalen Institutionen wie UNO, G-20, OECD und Internationalem Währungsfonds ein entscheidendes Umdenken. Man erkannte, dass ungezügelte Märkte nicht die Lösung, sondern vielmehr das Problem sind. Zum Glück gab es durchdachte Alternativen. Eine davon war die von Franz Josef Radermacher und Josef Riegler 2003 gestartete Initiative „Global Marshall Plan für eine weltweite Ökosoziale Marktwirtschaft“. Dabei geht es um die Verschränkung von zwei globalen Strategien. Einerseits geht es um eine faire Partnerschaft im Form des Global Marshall Plans und andererseits um faire Rahmenbedingungen für die Wirtschaft in Form der Ökosozialen Marktwirtschaft.

Eine weltweite ökosoziale Marktwirtschaft muss Ökonomie, Ökologie, Soziales und Kulturelle Identität in allen globalen Regelwerken umfassen.

Radermacher und Riegler hatten jahrelang in unzähligen Publikationen, Vorträgen sowie Vorsprachen bei Regierungen und Parlamenten, in der EU-Kommission und UNO ihr Konzept präsentiert, erläutert und dafür geworben. Green and Inclusive Economy nannte man das neue Paradigma von globaler Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft. Seine drei strategischen Eckpunkte lauten: Ökonomie, Soziales und Umwelt. Das entspricht mehr oder minder 1:1 dem Dreieck der Ökosozialen Marktwirtschaft. In diesem Sinn ist das Modell von Radermacher und Riegler in der Weltebene angekommen.

Erfreulicherweise ist es nicht nur bei einer Deklaration geblieben. 2015 gelang es der Staatengemeinschaft, zwei weltweite Strategien zur Rettung unseres Planeten zu verabschieden. Das Sustainable Development im September 2015 und den Klimavertrag von Paris im Dezember desselben Jahres. Nun geht es darum, diese „Agenda 30“ zu erfüllen bzw. umzusetzen. Die Umsetzungsstrategie der Ökosozialen Marktwirtschaft umfasst folgende Realisierungsebenen: Was kann der Einzelne tun? Der ökologische Fuß- bzw. Handabdruck muss in der Gemeinde auf eine Gestaltungsebene aufbauen. Die EU hat im Sinne des Lissabon-Vertrages ein hohes Maß an Umweltschutz zu garantieren. Eine weltweite Ökosoziale Marktwirtschaft muss daher Ökonomie, Ökologie, Soziales und kulturelle Identität in allen globalen Regelwerken umfassen. Die Leitorientierung von Ökosozialer Marktwirtschaft ist Balance. Diese Ausgewogenheit zwischen leistungsfähiger Wirtschaft, sozialer Fairness und ökologischer Verantwortung muss immer wieder neu errungen werden. Das stellt an alle Akteure in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik hohe Anforderungen.

Was wir aber brauchen, ist der politische Wille der Staatengemeinschaft, gemeinsam eine zukunftsfähige und friedensfähige Entwicklung zu gestalten.

Am Beginn des Globalisierungswahns hat die Politik das Heft des Handelns an die Ökonomie abgetreten. Die Ökonomie reagierte blitzschnell. Global Player agieren über Nationalstaaten hinweg und verstehen es, Regierungen gegeneinander auszuspielen. So wurde die Politik die Getriebene von Multis und Finanzakrobaten. Alle großen Herausforderungen und Bedrohungen wie Klimawandel, Flüchtlingsströme, ungezügelte Gewalt, die Ausbeutung von Mensch und Natur sowie ihre Missachtung schreien förmlich nach einer funktionsfähigen Global Governance. Die Instrumente dafür gibt es. Was wir aber brauchen, ist der politische Wille der Staatengemeinschaft, gemeinsam eine zukunftsfähige und friedensfähige Entwicklung zu gestalten.

P. S.: Die Gaswirtschaft hat einen enormen Einfluss auf die Regierungen. In Brüssel tänzeln Tausende Lobbyisten rund um die Entscheidungsträger der EU-Kommission. Die Fossilenergiewirtschaft wird gefördert, als hätte es Paris nie gegeben. Gas wird als „grün“ dargestellt, nicht als fossil. Gas ist eine Brückentechnologie. Es ist ein Klimakiller wie Öl, mit einem Drittel weniger CO 2 , aber vielfachem Methanausstoß. Es ist eine Brückentechnologie, aber höchstens auf dem Weg in die Klimakatastrophe. Ziele allein sind für die Zielerreichung nicht ausreichend, wir brauchen deshalb zielorientierte Wege statt orientierungslose Ziele, meint

Ihr Ernst Scheiber